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Ausstellung „Symbolische Stilleben – Malerei von Esteban Fekete, Bildhauerei von Roland Zehetmeier“
am 20. Mai 2012
Begrüßung:
Dr. Klaus Lehmann,
Kulturhistorischer Verein Roßdorf
Einführungsvortrag in die Ausstellung
Dr. Roland Held
Darmstadt
Diejenigen von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herrn, die entweder das Plakat oder die Einladungskarte näher studiert haben, warten jetzt sicher schon angehaltenen Atems und rauchenden Kopfes darauf, daß ich ihnen den Schlüssel zum dort wiedergegebenen Esteban-Fekete-Gemälde an die Hand gebe. Indem ich nämlich eine plausible Erklärung liefere dafür, wie es kommt, daß ausgerechnet eine Katze sich breitmachen darf auf dem Arbeitstisch eines Künstlers, der es zeitlebens bekanntlich mehr mit der Spezies Hund hielt. Und was ihn getrieben haben mag, der Katze ein so verdammt menschliches Gesicht aufzuprägen. Das irritiert nicht nur uns. Es erschreckt auch den Vogel, der anscheinend eben noch mitten unter den Arbeitsutensilien gesessen hat, so sehr, daß er, den Blick fest auf das Katzenuntier gerichtet, flugs aufflattert, links heraus aus dem Bild. Nun, nach reiflichem Überlegen und Vergleichen mit anderen Fekete-Werken hätte ich eine Deutung parat. Aber ich ziehe es sicherheitshalber vor, ihr noch bis zum Schluß meiner Rede Zeit zum Reifen zu geben. Dennoch habe ich mit dem Begriff „Deutung“ schon eine wichtige Vorinformation einfließen lassen. Wer unter Stilleben bloß eine dekorative Versammlung für sich genommen prosaischer, banaler Gegenstände versteht, Gegenstände nämlich, an denen es nichts zu deuten gibt, der irrt. Zumindest wenn man die Sache aus kunsthistorischer Warte aufrollt. Je älter die Stilleben, desto stärker sind sie symbolisch aufgeladen, symbolisch aussagefähig..
Erlauben Sie mir also, Ihnen etwas theoretische Wegzehrung in den intellektuellen Tornister zu stecken, damit Sie gerüstet sind, wenn Sie sich nachher an die steile Treppenbesteigung machen, aufwärts, aufwärts, in die Räume der Dauer- und der Wechselausstellung. Als um 1650 auf einem niederländischen Bilderinventar erstmals das Wort „stilleven“ auftaucht, für still=unbelebt und leven=Dasein, da ist das Genre bereits hochentwickelt und weit verzweigt. Die Schilderung unbelebter Gegenstände, was sich auf Naturgegenstände beschränken kann, aber nicht muß, hatte im ökonomisch und geistig regen Holland des auch Goldenes Zeitalter genannten 17.Jahrhunderts neben Blumen- und Bankettischstilleben auch Küchen- und Marktstilleben hervorgebracht, dazu Musikinstrumentestilleben, Waffenstilleben, Jagdbeutestilleben, Bücherstilleben. Jedes Subgenre besitzt seinen Kreis von Sammlern ebenso wie seine darauf spezialisierten Maler. Zweifellos zielt der Ehrgeiz der letzteren auf möglichst naturalistische Darstellung der oft aufwendig arrangierten Objekte, am liebsten wollen sie dem Betrachter mittels Ölfarbe und Leinwand etwas vorsetzen, so wirklichkeitsgetreu ausgeführt, daß der es mit der Wirklichkeit verwechselt. Passend wird das Resultat dann „betriegertje“ genannt, Augentäuschung, so wie die Steckbrettstilleben, übersät mit geschäftlicher Korrespondenz und sonstigen Zetteln, hingebungsvoll gemalt bis zu den Bändchen, dem Siegellack und den altväterlichen Schriftzügen, von denen das ganze fiktive Papier bedeckt ist.
Das Bildprogramm reicht indessen tiefer. Eine unangefochten christliche, bibelfeste Gesellschaft, wie es damals nicht nur für die Niederlande, sondern für ganz Europa die Norm ist, weiß, daß man aus Blumen nonverbale Botschaften herauslesen kann, die sich auf die Heilsgeschichte beziehen. Eine Symbolik, die im Volksmund nicht umsonst Sprache der Blumen heißt. Und man erwartet, daß selbst und gerade am opulentest gedeckten Tisch Hinweise versteckt sind, die mit anderen Mitteln wiederholen, was der Pfarrer auf der Kanzel allsonntäglich seiner Gemeinde einhämmert. Alles Irdische, Fleischliche, sinnlich Entzückende ist der Vergänglichkeit unterworfen: daher der Insektenfraß an der Rose oder Lilie, daher die Maus, die sich heimlich an das Brot oder den Käse heranpirscht, daher die so spiralig-elegant halb aus ihrer Schale geschlüpfte Zitrone, die uns daran erinnert, daß immer die Hälfte des Lebens schon vorbei ist. Von anderen Symbolen der Vanitas, jener Eitelkeit aller Dinge, wie Totenschädel und Sanduhr, zersprungenes Glas oder gelöschte Kerze, einmal ganz zu schweigen. Ich vermute, wertes Publikum, bei den letztgenannten Beispielen ist jedem hier aufgegangen, daß das Wissen um symbolische Elemente in der Kunst auch unseren säkularisierten Gemütern nicht ganz abhanden gekommen ist.
Mit dem wesentlichen Unterschied: wenn heutige Künstler sich dem Stilleben zuwenden und dieses, darüber hinaus, mit bedeutungsträchtigen Gegenständen bestücken, ist die Symbolik individuell und subjektiv anstatt gesellschaftsübergreifend und verbindlich. Das heißt: wir begeben uns von Künstler zu Künstler jeweils auf unbekanntes, neu zu kartierendes Terrain. Beispiele wären die Stilleben von Giorgio de Chirico, Max Beckmann oder René Magritte. Zwischen ihnen ist nichts austauschbar, jeder ist einzig. Wem das Spekulieren zu mühsam ist, für den gibt es, unter den Klassikern der Moderne, immer noch die Stilleben von Giorgio Morandi, der sein Leben lang die gleichen Flaschen und Vasen immer wieder anders hinstellte und damit vollkommen zufrieden war, weil er sagte, daß ihn an einem Bild ohnehin nur der Raum und das Licht, die Formen und die Farben interessieren. Eine konsequente, eine puristische Position. Esteban Fekete würde sich gleichwohl mehr zuhause fühlen im Grüppchen der Erstgenannten. Ich glaube, er, der ein so eifriger Leser zeitgenössischer Romane, Kurzgeschichten, Gedichte war, dabei mit durchaus international ausgerichteten Antennen, ich glaube, er hätte gar nicht sonderlich protestiert, wenn man seine Malerei als „literarisch“ bezeichnet hätte, was rund hundert Jahre lang ein schlimmes Schimpfwort in der Szene war. Was seine einzelnen Werke freilich trotzdem nicht der Pflicht enthebt, ihr Gelingen daran messen zu lassen, ob sie ihre figürlichen, erzählerischen und, ja, symbolischen Ingredienzien auch in eine überzeugende Bildordnung gebracht haben.
Nein, es kann heute nicht meine Aufgabe sein, für jedes symbolisch angehauchte Teilmotiv in den Fekete’schen Stilleben eine gesonderte Interpretation anzubieten. Wichtiger finde ich es jetzt, Sie, meine Damen und Herren, vorzubereiten auf den Überraschungsmoment, wenn sie in der Ausstellung registrieren, wie offen die Bilder dieses Künstlers sich zeigen für andere Bildthemen. Nach der Einladungskarte ahnt man es ja schon: Stilleben und Tierdarstellung sind keine säuberlich getrennten Bereiche, ebensowenig wie Stilleben und Landschaft, weil der von der Katze mit Beschlag belegte Arbeitstisch an ein Fenster stößt, hinter dem wiederum sich ein Ausblick auftut auf Formen, unscharf gehalten, aber gerade noch erkennbar als Bäume, ein Gebäude, ein ferner Horizont. Bewußt haben wir in die Auswahl mehrere Beispiele aufgenommen, die quasi Outdoor-Stilleben sind, Gegenstandsansammlungen im großen Maßstab: ein wilder Autofriedhof in einem lauschigen Wäldchen, wie es eine perverse Naturliebe den Bewohnern der Grünen Insel so oft einflüstert; als zweites irisches Motiv eine Benzinzapfsäule, die uns umwickelt von ihren Schläuchen entgegentritt wie ein surrealer Roboter; sodann die gespenstischen Vogelscheuchen in einem düsteren Rabenfeld; schließlich eine Landschaft wie nach einem Tsunami, mit angespültem Schiff und ersoffenem Pferd. Wenn das nicht stilleven ist oder, wie die Lateiner es sagen: natura morta! An anderen Fronten geht das Stilleben nahtlos ins Interieur über bzw. beide in die Gattung Akt. Sie werden oben ein Bild sehen, wo hinter einem naturalistisch gemalten Schlemmertraum mit Hähnchenschenkeln, Brot, Obst und der obligaten Karaffe Rotwein ein antinaturalistisch in Grün und Blau getauchtes, nacktes weibliches Wesen gelagert ist, als gehöre es zum Menü dazu wie ein Dessert. Genießerische Häuslichkeit und Erotomanie waren für Esteban Fekete kein Widerspruch. Nichts zeigt das deutlicher als die schalkhafte Beharrlichkeit, mit welcher er seine Bilder bevölkerte bald mit Früchten, bald mit Gefäßen, die unübersehbar phallische und vaginale Vergleiche heraufbeschwören.
Es bietet sich die Überleitung an zu den Holzskulpturen des Frankfurter Bildhauers Roland Zehetmeier, die diesmal mit dem Bestand der Fekete-Stiftung in Korrespondenz treten. Durchweg figürliche Arbeiten, wäre das nach dem Geschmack unseres Malerfürsten vom Stetteritzhügel gewesen. Da die Stücke aus unterschiedlichen Werkphasen Zehetmeiers stammen, verfolgen und vergleichen wir recht unterschiedliche Auffassungen der menschlichen Figur. Eine vergeistigt langgestreckte Gestalt in Silberhaut weist uns mit zusammengepreßten Armen und Händen, wie bereit zum Kopfsprung ins kalte Wasser, den Weg in die Ausstellung. Wo wir auf die „Frau im Ballkleid“ treffen, die sich hervorragend, ja schwesterlich einfügt zwischen Feketes hochformatige Holzschnittblätter „Indianerin“ und „Vor dem Spiegel“. Obwohl so vornehm-festlich betitelt, hat zur Erscheinung der Skulptur wesentlich beigetragen der profane Balken aus einem Abbruchhaus, daraus sie gesägt ist. Die rüden Kreuz- und Querschnitten, die er von sich aus mitbrachte, hat Zehetmeier mit sparsamen Eingriffen fortgesetzt zu einer zweifelsfrei wiedererkennbaren Form, die bewußt doch im Non finito belassen ist. „Kunst beginnt nicht mit dem Machen, sondern erst mal mit dem Sehen“, verrät er bezüglich seiner Materialwahl. Mal sind es die Spuren der Arbeit, die stehenbleiben, mal auch die Eigenheiten des Holzes selbst, als da wären Fehl und Faulstellen, Maserung und Astknorren, der Kontrast von dunklem, hartem und hellem, weichem Wuchs sowie die lange Linie eines Blitzschlags. Etwa bei der sitzenden Kürbisfrau, die, nun in vertrauten anatomischen Proportionen, dafür in extremer Gliederverschränkung, auf dem flachen Handteller der Linken die wuchtige titelgebende Frucht hält. Als „Wiederbelebung“ begreift Zehetmeier seinen Umgang mit dem Holz, das den Weg zu ihm findet. Der Kürbis übrigens kehrt, freilich kleiner, wieder als Element des Stillebens auf runder Platte, wie zum Beweis, daß dieser Bildhauer, wenn er will, außer elektrisch zu sägen auch ganz naturalistisch von Hand zu schnitzen versteht.
Nochmals: ich bin überzeugt, Esteban Fekete wäre mit dem Kollegen sehr einverstanden. Gibt es doch sowohl motivische als auch formale, die Figurauffassung betreffende Überschneidungen. Man zähle mal, wie oft das im Zehetmeier-Stilleben plastisch hervorgehobene Messer auf den Fekete’schen Bildern auftaucht. Dann, wenn ich das nicht falsch sehe, als aggressives Instrument, das zwei Personen trennt. Oder eine Einzelperson von der Welt Wie überhaupt Einsamkeit eine viele Stilleben durchziehende Stimmung ist. Beispiele: der phosphorgelbe Akt auf dem ungemachten Bett – der Mann, der, ans Fensterkreuz gelehnt, zum nächtlichen Sternenhimmel hinaufträumt und nicht bemerkt, wie ein ominöser Riesen-käfer sich der Obstschale im Vordergrund nähert – die Frau, die sich, grübelnd hinter ihrer Brille, auf der schachbrettgemusterten Tischdecke die Karten legt, soeben das unheilvolle Pik As in den Fingern. Nicht einmal die von Fekete geliebte Verdoppelung im Spiegel, der symbolisch traditionell für Eitelkeit steht, vermag die Einsamkeit aufzuheben. Manchmal genügen schon ein paar alte, ausrangierte Dinge, um ein Gefühl von Tristesse zu wecken, wie auf dem überarbeiteten Kalenderfoto, von dem der Künstler noch das filigrane Spinnennetz hat stehenlassen, um ihr eine Flasche beizugesellen, ein Kästchen und eine Dose, die umgekippt ist, so daß ihr Inhalt herausfließt. Die Dinge werden hier zu Stellvertretern, zu Gefühlsträgern für menschliche Befindlichkeiten, auch bittere. „Das Leben ist kein Stilleben“, hat Oskar Kokoschka hintersinnig festgestellt.
Und schon hätten wir die Kurve gekriegt zu den Arbeitstisch-Stilleben mit ihren Farbtuben und Tuscheflaschen und Gläsern voller Stifte, Pinsel, Federn. So weit hätte man es noch mit Utensilien zu tun, die in einer Künstlerwerkstatt zu erwarten sind. Aber lassen wir uns nicht täuschen – noch in den seltensten Fällen hat ein Stilleben aus Gegenwart oder Vergangenheit eine vorgefundene Konstellation 1:1 widergespiegelt; in der Regel sind seine Bestandteile vom Künstler zusammengefügt nach so kalkulierten Gesichtspunkten, daß jemand das einmal als „kunstvolle Unordnung“ apostrophiert hat. Also muß es etwas anderes sein als abstruse Willkür, wenn sich mal ein Vogel in ein solches Arrangement verirrt. Wir finden drüben ein kleines Ölbild, auf dem der schwarze Vogel dick und quicklebendig inmitten der Malutensilien thront, auf dem Rand eines Töpfchens, als habe er darin Bad oder Tränke gefunden. Auf einem Aquarell wiederum liegt er auf dem Rücken und streckt die zerfledderten Flügel von sich. Als hätte er sich am Bleiweiß vergiftet. Oder war es doch die Katze, die ihm den Garaus gemacht hat? Der Vogel erscheint in tausendundeins Situationen im Schaffen von Esteban Fekete, so daß ich mich der Vermutung nicht erwehren kann, er habe sich mit ihm geradezu identifiziert. Manche alten Völker versinnbildlichten ja die Seele als Vogel. In unserem Fall könnte der Vogel zusätzlich stehen für die künstlerische Phantasie und ihre Fähigkeit zu schrankenlosem Aufflug in Sphären, wo Dinge möglich sind, die die gewöhnliche Alltagserfahrung übersteigen. Zum Beispiel eine Katze mit einem menschlichen Gesicht. Haben Sie, meine Damen und Herren, genau hingeschaut aufs Motiv unserer Einladungskarte? Dann wird Ihnen nicht entgangen sein, daß die Katze einen Schnurrbart hat. Haben Sie mich, Ihren Eröffnungsredner, mal genau angeschaut…? Ja, richtig… Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich ahne da einen Zusammenhang. Und ich lege als Schlüssel, der die Symbolik des Bildes aufschließt, die universal anwendbare Theorie vor: sobald die Katze Kunstkritiker auf den Tisch springt und den Vogel Künstler mit stechenden gelben Augen fixiert, analysiert, interpretiert, seziert, bleibt dem nichts anderes übrig, als sein Heil in der Flucht zu suchen. Die vielbeschworene Freiheit des Künstlers, und da würde mir der lebenslang skeptisch gestimmte Esteban kaum widersprechen, sie ist doch stets eine Vogelfreiheit geblieben!
© Dr.Roland Held, Darmstadt 2012
Foto – Impressionen
zur
Ausstellung