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Ausstellung „Esteban Fekete – Glasbilder der letzten Jahre“
am 01. November 2009
Begrüßung:
Dr. Klaus Lehmann,
Kulturhistorischer Verein Roßdorf
Einführung in die Ausstellung
Dr. Reiner Welters
Darmstadt
Liebe Maria, liebe Frau Paschke, lieber Herr Dr. Lehmann,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Der Vogel ist tot“ – ein Hinterglasbild aus dem vergangenen Jahr, das Esteban Fekete uns neben 21 anderen als letzte Arbeiten dieses Genres hinterlassen hat. Es zieht unweigerlich den Blick auf sich, hier auf der Staffelei und überall, wo es sonst stehen mag. Tatsächlich hat es auch auf seiner Staffelei im Wohnzimmer seines Hauses gestanden, als er es für immer verlassen hat. Da hatte er es wohl mit unverkennbarer Absicht hingestellt – sozusagen als Abschiedsmotto und Schlußpunkt zugleich.
Wenngleich dieser Titel so wie alle anderen hier nicht von Fekete selbst stammt – alle Werke waren zwar signiert, aber ohne Titel -sondern im Juli von Ursula Paschke und Dr. Roland Held sehr einfühlsam erfunden wurden, zieht er doch damit die Summe einer Existenz, die an ihrem Ende angekommen war. Es ist ein in zwei horizontale Ebenen strukturiertes Bild. Unten auf dem breiten überwiegend blauen Tisch liegt ein toter Vogel auf dem Rücken, wie eine Art Opfergabe, den Kopf einer Frau zugewandt. Diese Frau – wir erraten unschwer, daß es Maria ist – dominiert in ihrem weinroten Kleid oder Pullover das Bild, auf dem sich überall die Spuren dieser Farbe finden, mehr oder weniger ausgeprägt sogar auf dem Vogel, der ansonsten in leblosem Grau einfach nur da liegt, die Füße ausgestreckt. Das überall aufscheinende Rot Marias zeigt ihre Bedeutung in der Innenbeziehung der beiden an. Ansonsten ist die Ausstattung des Raumes karg – eine Kaffeekanne, ein Krug auf dem Fensterbord, eine Vase. Hinter dem Fenster schemenhaft angedeutete Bäume, ein alte Haus.
Ja, ich sagte: Falke. Für mich ist der tote Vogel ein Falke. Gilt nämlich schon der Vogel an sich oft als Symbol für die Seele, die sich emporheben kann in ungeahnte Sphären, so steht der Falke für Unternehmungslust und Lebenswille, für Kraft, Ausdauer und Eleganz, für Klarsicht, für den scharfäugigen, schweifenden Blick, der die Fähigkeit hat, die Welt aus einer anderen Warte, aus einer Position weit über den Dingen zu sehen – aber eben auch für den treuen Dienst an dem, zu dem er sich gehörig fühlte. Der Falke, so könnte man sagen, ist der Vogel der Künstler und der Herrscher. Im alten Ägypten war er hoch geehrt und wurde schnell zum Falkengott Horus, der den Pharao mit seinen Flügeln schützend umfing oder mit ihm – symbolisch durch die Lüfte flog, um das Reich zu inspizieren. Im Mittelalter war der gezähmte Falke der Jagdhelfer der Herrscher. Er war sozusagen ihr verlängerter Wille und stand hochgeehrt in ihrem Dienst. Friedrich II., der Staufer aus Sizilien, das „Staunen der Welt“, wie man ihn nannte, zog sich Falken und arbeitete mit ihnen sein Leben lang. Und als er unverhofft in der einsamen Burg auf dem Hügel von ist tot.“
Esteban hat gerne Vögel gemalt oder in Holz geschnitten. Sie erinnern sich vielleicht an das Bild einer Amsel, die goldgesprenkelt, also beseelt, auf seiner Schulter sitzt, während er malt. Vögel sind ja auch ein Symbol der Freiheit und der anderen Weltsicht, denn sie haben seit undenklichen Zeiten eine Dimension der Welt mehr zur Verfügung als wir Menschen. Und so ist es recht, wenn der Künstler – woher auch immer Esteban das Tier hatte – er wusste um seine Symbolhaftigkeit und wusste sie für sich zu nutzen – frei wie ein Vogel oder auch vogelfrei – sich ihnen verbunden fühlt. Fekete hat auf solche Gedanken meist verlegen geantwortet, er male die Vögel, „weil sie eine so schöne Gestalt“ hätten. Und noch ein letzter Gedanke hierzu: In der mittelalterlichen Lyrik wird der Falke auch mit der Liebe in Verbindung gebracht- als Bote oder als Zeichen für die geliebte Frau. Der Dichter Der von Kürenberg erwähnt ihn zweimal in diesem Zusammenhang, einmal in dem Gedicht „Ich zog mir einen Falken, wo er als Bote fungiert… und in einem anderen Gedicht, aus dem ich zu Ihrer Erheiterung den Vers zitiere: „Falken und Frauen sind leicht zu zähmen, man muß ihnen nur richtig entgegenkommen…“
Estebans letztes Bild auf der Staffelei dort – „Der Vogel ist tot“- ist, so denke ich, unter Einschluß all der genannten Aspekte sein ureigenes bitteres Fazit aus seiner ihm ausweglos erscheinenden Lebenssituation, ein Fazit, das lautet: „Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende!“
Wir alle tragen in unserer Erinnerung die Vorstellung von einem äußerst aktiven Maler und Farbholzschneider Esteban Fekete, d er bis ins hohe Alter hinein vor Schaffenskraft strotzte und nach neuen Herausforderungen suchte. Nur so ist zu erklären, daß er sich mit achtzig Jahren noch einmal intensiv auf die Hinterglasmalerei stürzte, eine Technik, von der er mir einmal sagte, auch er wisse nicht genau, was schließlich dabei herauskomme. Die erste Schwierigkeit besteht ja darin, daß der Maler, da er sozusagen hinter dem Bild sitzt, seitenverkehrt arbeiten muß, damit der Betrachter von vorne die Dinge richtig sieht. Dabei hat Esteban sicher die Farbholzschneiderei geholfen, denn da geht man ebenso vor. Das zweite Problem besteht beim Farbauftrag. Man muß sich entscheiden, mit welcher Farbe man beginnt und wie man die Schichten anlegt, auch um Mischeffekte und Überlagerungen zu erzeugen, die der Brillanz des Bildes zugutekommen. Das ist nicht gänzlich exakt vorauszuplanen. Deshalb war es jedesmal so: Erst wenn am Schluß das Schwarz aufgetragen war – Schwarz heißt auf Ungarisch „Fekete“ – und dann das Werk umgedreht worden war, wußte Fekete endlich, was aus seiner Bildidee wirklich geworden war.
In der Tat sind seine Arbeiten mit dem Material Glas oder auch Plexiglas von unterschiedlicher Qualität – aber das gilt eigentlich für alle Maler auf allen Malgründen. Wer hat schon ein Meisterwerk nach dem anderen generiert? Wichtig ist, und das wird die professionelle Kritik nicht anders sehen, daß eine Reihe guter, ja erstaunlicher Arbeiten entstanden sind, und das ist nach meiner festen Überzeugung der Fall. Alle Werke tragen Feketes unverkennbaren Stil in die Welt, ohne sich in allzu ähnlichen Wiederholungen zu erschöpfen. Nicht nur die schiere Zahl, sondern vor allem die Varianz der Themen, der gewählten Motive, der Farbgebung, der Komposition dieser Hinterglasbilder erlaubt es, von einem wirklichen Oeuvre zu sprechen, das Esteban seinen Zeichnungen, seinen Farbholzschnitten und seinen Gemälden auf traditionellen Untergründen hinzugefügt hat. Mehr will ich heute zu dieser Technik nicht sagen, sonst wiederhole ich das, was ich hier vor dreieinhalb Jahren schon einmal dazu gesagt habe.
Nein, ich möchte Sie lieber einladen, ein paar der Bilder dieser Hinterlassenschaft, die alle zwischen Ende 2005 und 2008 entstanden sind, mit mir näher zu betrachten. Meine Auswahl ist ganz nach meinem Gusto getroffen worden – Ihnen mögen andere Bilder besser gefallen – aber vielleicht darf ich Ihnen an Hand der Beispiele helfen, ein wenig in Feketes Bildern zu „lesen“, wobei meine Lesart nur zu Ihrer Anregung dienen soll.
Zunächst wende ich mich dem Bild „Charon holt uns“ zu. Auf einer hohen dunklen Kaimauer sitzt ein Menschenpaar und hält Ausschau übers Meer. In der Ferne ist ein Ruderboot zu ahnen. Achten Sie darauf, wie unglaublich differenziert in den Farben die wuchtige Kaimauer und die Weite des Meeres gemalt sind. Das ist die Hohe Schule der Glasmalerei! Die beiden schattenhaften, violetten Gestalten sind noch goldgerändert, also noch lebendig, aber in Erwartung des Endes. Unten an der Mauer schaukeln leer die beiden gelben Kähne, die Lebensschifflein, die nun nicht mehr gebraucht werden. Neben den beiden Personen, deren Identität im Titel benannt ist, nämlich „Wir“, steht auf dem Kai ein goldglänzendes Gebilde – eine Art Reichsapfel mit Kreuz, ein Kelch vielleicht, Schätze des Lebens, die zurückbleiben werden oder vielleicht als der Obolus zu verstehen sind, den man Charon zu entrichten hat. Von links schiebt sich ein wuchtiges, dunkles, bedrohliches Etwas ins Bild, eine Art Passagierschiff, von dem man nicht weiß, ob das Charons Riesen-Transporter ist, der Massen über den Acheron schippert oder ob es eine verlassene Fähre ist, die das Meer nimmermehr befahren wird. Charon kommt der Sage nach mit einem Boot – und so ist wohl der angedeutete Kahn in der Ferne das Vehikel, auf das die beiden auf dem Kai warten.
Fekete hatte den altgriechischen Mythos von Charon, der die Schatten der Toten über den Fluss Acheron in den Hades geleitet, stets im Sinn, wenn er an den Tod dachte. Er hat diesen Fährmann mehrfach gemalt. Vor einigen Jahren schickte er mir zu Weihnachten eine gemalte Karte mit dem Seelenschiffer und der Unterschrift: „Charon soll gefälligst noch ein bißchen warten!“ Dieses Bild hier, vom Juni 2007, kündigt nun unverhohlen an, worauf Esteban sich vorbereitete.
Zu den besten Hinterglasbildern Feketes zähle ich die „Dorfstraße in Irland“ von 2006. Das Motiv ist nicht neu, aber ähnliche frühere Bilder verblassen angesichts des Farbenrausches, der uns hier entgegen leuchtet. Es ist, als ob der Abend, bevor er der Dunkelheit weicht, noch einmal die Buntheit der Welt aufscheinen läßt, ehe die Nacht sie verschluckt. Es sind aber nicht nur die Farben, die das Bild zum Meisterwerk machen. Es ist auch die Dynamik der Komposition und es ist die immanente Symbolik. Die Straße steigt schräg über die Bilddiagonale an und verliert sich in der im Hintergrund lauernden Finsternis. Die Häuser stehen schief und wacklig, als wollten sie gleich umfallen. Ein paar Spuren menschlichen Wirkens sind noch zu sehen – ein paar Fässer vor der Hauswand, ein Wegweiser mit dem Namen des Malers, eine brennende Lampe vorne rechts an der Hausecke, die die Leere zu erhellen versucht, aber keine Menschen! Auf der anderen Straßenseite hockt ein großer Hund, der als einsamer Wächter zurückgeblieben ist.
Unwillkürlich denkt man an eine Art Exodus, der alle menschlichen Wesen in die Dunkelheit der violetten Schlucht des Hintergrundes getrieben hat und so die Leere in der Fülle erzeugt. „Dorfstraße in Irland“ ist womöglich auch wieder ein Abschiedsbild Estebans, der wußte, daß bald die Zeit kommen würde, da sein Leben in Irland, das er schließlich so langweilig fand, daß er es nur malend ertrug, mit der Aufgabe seines Hauses ein Ende finden würde. Ein ganz anderer Bildaufbau begegnet uns in dem Gemälde „Das Sonnenbad“.
Eine sehr schöne junge Frau liegt lang hingestreckt fast über die ganze untere Bildhälfte hinweg. Sie hält den Kopf in der Armbeuge geborgen, verbirgt das Gesicht und wendet dem Betrachter den Rücken zu. Neben ihr liegen eine leere Flasche und die Badeschuhe, achtlos abgestreift und hingeworfen. Die Flasche, die Schlappen und der Kahn spiegeln die Farbe des nackten Körpers wider und weisen sich so als Gegenstände aus, die zu der jungen Frau gehören. Wir wissen nicht, ob sie schläft und träumt, ob sie von der Welt nichts mehr wissen will oder ob sie einfach da liegt und sich einbildet, ein Sonnenbad zu nehmen. Hinter ihr strömt ein dunkler Fluß mit kleinen Schaumkronen, am jenseitigen Ufer ein paar Häuser, dunkle Hügel im Hintergrund, ein fahler Himmel ohne erkennbare Sonne, die dem Titel „Sonnenbad“ zur Realität hätte verhelfen können. Der Körper der Frau leuchtet gelbgrün wie im Widerschein einer Ultraviolettlampe, Strahlung, die beim wirklichen Sonnenbad je nach Länge für die Bräune oder den Sonnenbrand sorgt. Hier zeigt die Farbe wohl an, daß die junge Frau noch beseelt und voller Schönheit und Leben ist. Sie bildet den unübersehbaren Kontrast zu der finsterfahlen Welt hinter ihr.
Für mich ist es eine Art Erinnerungsbild an eine Zeit, wo Schönheit, Gesundheit, die Freiheit, nackt zu sein und ungezwungen leben zu können, selbstverständliche Motive und Attribute auch eines Künstlerlebens waren. Der leuchtende Leib ist der Traum der Erinnerung – die Düsternis der Welt dahinter die Realität. Diese Realität wird den flüchtigen Traum überdauern.
Das Bild „Barbarisches Bethlehem“ bestürzt gewiß den Betrachter, der es gewohnt ist, die Szene im Stall von Bethlehem zwar von Armut geprägt, aber doch erbaulicher dargestellt zu sehen. Was aber haben wir hier vor uns? Die Gestalt, die zuallererst den Blick auf sich zieht, ist ein Ungeheuer, das sich mit tierischer Gewalt durchs Fenster schiebt und den Betrachter mit grimmigem Blick anfällt -rausgeschossen aus einem Kopf, der eine Mischung aus wildem Stier und Bulldogge zu sein scheint. Auch der Esel rechts sieht eher aus wie eine übergroße, böse Dogge. Das Ungeheuer trennt die heilige Familie, die sich – golden gewandet vor dem violetten Hintergrund abhebt. Joseph, der nach links abgedrängt wird, kann Frau und Kind nicht mehr beschützend zur Seite stehen. Maria hält das Jesuskind eher von sich als an sich, ein Kind, das grau wie ein Leichnam ist, kein Fitzchen goldenen Geist, kein Zeichen von Beseeltheit mehr zeigt. Eben erst geboren und schon ein Opfer grausamer Mächte? Sicherlich haben wir hier eine ganz bittere Satire Feketes auf unser beliebtestes Weihnachtsmotiv vor uns. Der Ausbruch ungebärdiger Wildheit in den kriegerischen Auseinandersetzungen im heiligen Land hat den Maler tief verstört. Er geißelt mit diesem Bild die Barbarei an der Stelle, wo der Erlöser geboren wurde und gelebt hat. Man kann nicht sagen, daß Fekete ein gläubiger Mensch war, aber er leidet an diesem sozusagen immerwährenden Krieg, und deshalb setzt er malerisch um, was einst Georg Heym in seinem prophetischen Gedicht „Der Krieg“ so zum Ausdruck brachte:
„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,
und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
Feketes widerwärtiges Monster oder Heyms Verse könnten auch uns -was wir nicht hoffen – bis in unsere Träume verfolgen!
Man könnte es einreihen in die Landschaftsbilder der klassischen Moderne, das Bild „Die Fälle von Ormond“. Es mutet nicht nur expressionistisch an, sondern es ist expressionistisch. Wenngleich Fekete sich immer gewehrt hat, in irgendwelche Stilepochen eingegliedert zu werden. Aber diese Gefahr besteht ja auch nicht, wenn man dieses Bild so nennt, wie es wirkt. Was sehen wir? Wir sehen das vielfaltig variierende Blau einer wuchtigen und dennoch stufenförmig gegliederten Berglandschaft unter einem violetten Himmel. Wir sehen die rosaweiß in Zickzacklinien herabstürzenden, filigranen Wasserfalle. Wir sehen unten den dunklen Fluß, auf dem sich das Weiß des herabstürzenden Wassers spiegelt. Wir sehen Reste von Zäunen, Baumgerippe und angedeutete Hausformen, schwarz und leer.
Was will uns dieses Bild aus Irland sagen? Nun, die Fälle von Ormond hat Esteban öfters gemalt. Sie sind ja offenbar auch sehr eindrucksvoll. Aber er hat sie nie so majestätisch gemalt, was die Natur angeht, und nie so winzig und leer in Bezug auf Menschen und ihr Werk. Dieses Bild ist wie eine Apotheose der Natur, ein grandioses Erinnerungsbild an diesen eindrucksvollen Ort in einem Land, das er für immer verlassen hat.
Und jetzt kommen wir zum „Frühstück der Krähen“: Irische Landschaft erneut. Diesmal im Morgenlicht. Ruinen, Baumstümpfe, schiefe Hütten umgrenzen die Szenerie im Vordergrund. Vorherrschende Farben sind Gelb- und Rottöne. Drei Krähen, sorgfaltig gemalt in dunklem Violett verzehren gemeinsam etwas, das nicht näher zu erkennen ist. Das Undefinierbare mag man als Fleischreste oder Aas deuten, denn Krähen verzehren gerne so etwas. Wir können das auch im Alltag beobachten, wenn sie sich auf den Straßen an totgefahrenem Getier laben.
Aber diese Szene hat nicht nur den vordergründigen Aspekt einer pittoresken oder makabren Frühstückssituation sondern sie hat erneut eine symbolische Dimension. Krähen gelten gemeinhin als Unglücksboten, als Todesvögel. Das verstehen wir sogleich, wenn wir an die „schaurigen“ Lieder der Schubertschen Winterreise nach den Versen von Wilhelm Müller, dem „Griechenmüller“, wie man ihn nannte, denken. Im 15. Lied des Zyklus heißt es:
Krähe, wunderliches Tier,
Willst mich nicht verlassen?
Meinst wohl, bald als Beute hier Meinen Leib zu fassen?
Nun, es wird nicht lang mehr geh’n
An dem Wanderstabe.
Krähe, laß mich endlich seh’n
Treue bis zum Grabe!
Und Friedrich Nietzsche, schon von den Schatten der Umnachtung gezeichnet, beendete sein Gedicht „Abschied“ mit den Versen:
Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n,
Weh dem, der keine Heimat hat.
Wir können davon ausgehen, daß Esteban Fekete, belesen und in der Musik bewandert, diese Worte und Töne nicht nur parat hatte, sondern sich in seinen letzten Jahren oft genug einer solchen Trostlosigkeit ausgesetzt sah.
Das letzte Werk in meiner kleinen Bildbesprechung ist eine Hinterglasmalerei in einem schmal-breiten Format von 25 x 64 cm -eher ungewöhnlich für Fekete. Es trägt den Titel „Weltenbrand“. Hier lodern rechts Flammen um ascheweiße Häuserkonturen. In der Mitte sehen wir orangerote Feuerzeichen, durchzogen von einer Linie grüner Flecken, die an Leuchtspurmunition erinnern. Am linken Bildrand wabert feurige Glut unter grau aufgetürmten Wolkenstrukturen. Das nächtige Violett des Flusses grenzt sich ab von den unglaublich differenziert gemalten oder vielleicht auch gespachtelten Flächen der Erde und des Himmels.
Es ist eine Vision von Untergang, ein Armageddon, eine Welt in Auflösung, die der Künstler hier vor uns ausbreitet. Folgerichtig verläßt er mit diesem Bild auch die uns aus seinem Oeuvre vertraute, an der Realität orientierte Darstellungsweise und präsentiert uns ein ins Abstrakte übergehendes Werk, weil er anders den Untergang jeder Ordnung im Weltenbrand nicht glaubt darstellen zu können. Im Jahre 2007, kurz bevor er aufhörte zu malen, erreichte er mit diesem Bild noch einmal einen Höhepunkt seines Könnens.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kehren wir zum Schluß zurück zum Bild hier auf der Staffelei. Der Flug der Vögel hat den Menschen von alters her fasziniert. Die Römer und ihre Zeitgenossen versuchten, daraus die Zukunft zu lesen, und heute noch schauen wir gebannt zum Himmel, wenn in diesen Tagen die Schwärme von Zugvögeln auf dem Weg nach Süden in Keilform über den Himmel gleiten. Dädalus und Ikarus glaubten, sich im Federkleid emporschwingen zu können. Fekete hat den Sturz des Ikarus, der der Sonne zu nahe kam, in einem großen Bild nachempfunden. Archetypische Vorstellungen dieser Art liegen in unseren tiefsten Schichten. Dichter beglücken uns mit unvergänglichen Metaphern. So schrieb Georg Trakl in seinem Gedicht „Der Herbst des Einsamen“ den Vers:
„Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen…“
und Gottfried Benn endet sein Poem „Astern“ mit den unglaublich schönen Zeilen:
„ Die Schwalben streifen die Fluten und trinken Fahrt und Nacht.“
Lassen Sie uns hier innehalten, und noch einmal an Esteban Fekete, den Menschen und Maler denken. In den Glasbildern seiner letzten Jahre finden Sie viele, viele Andeutungen von Schiffbruch, Scheitern, Tod und Ende. Je weniger er sich darüber austauschen konnte, um so mehr malte er das, was er näherkommen sah – nicht ängstlich, nicht abwehrend. Er akzeptierte das Unabwendbare, das Teil unserer Existenz ist. Und dennoch erfaßt uns tiefes Bedauern, da wir nun unwiderruflich feststellen müssen:
„Ja, leider. Der Vogel ist tot!“
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
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