Enttäuscht stand ich mit meinen Bildern auf dem Neuen Meßplatz in Mannheim. Die Galerie des Herrn Bischof war geschlossen, und meinen Zug hatte ich auch verpaßt. Sollte ich warten? Oder auf den Rummel gehen? Schon zog mich der Menschenstrom mit. Auf einmal stand ich vor einem Ding, das wie ein Kraftmesser aussah. Man schob mich nach vorne. Ein vornehmer Herr nahm mir meine Bilder ab. Ich wehrte mich, wurde aber nur noch heftiger zu dem seltsamen Apparat hingedrängt. Der Herr hatte meine Mappe bereits aufgebunden und steckte das erste Bild in den Apparat. Lämpchen leuchteten auf, Zahlen funkelten: 100, 200, 300… Bei 1500 blieb der Zauber stehen. Die Menschen um mich herum jubelten. Dann wurde das zweite Bild hineingelegt. Wieder blitzten Lichter und Zahlen. Diesmal ging es bis 1800. Das Geschrei wurde unerträglich. Die Prozedur wiederholte sich noch fünfmal. Mehr Bilder hatte ich nicht mitgenommen. Und immer diese hohen Zahlen!
Da kam ein merkwürdiger langer Herr auf mich zu. „Ich bin Franz Joseph Bischof.“ Gerade Herrn Bischof wollte ich ja meine Bilder zeigen, deswegen war ich nach Mannheim gekommen. Ich war noch nicht aus dem Staunen heraus, als er sagte: „Ein Bekannter von mir, Physiker und Mathematiker, hat dieses elektronische Gerät entwickelt.“ Er zeigte dabei auf den vornehmen Herrn, der noch an dem Apparat beschäftigt war. „Durch seine Erfindung ist es zum erstenmal in der Geschichte möglich, Bilder objektiv auszuwerten. Wir sind damit vom Geschmack und anderen anerzogenen oder erworbenen Kriterien unabhängig geworden. Jetzt können wir unter das Volk gehen, wie hier auf dem Rummelplatz, und die echten Kunstwerke holen. Wir müssen nicht mehr auf das Auskristallisieren einer Tendenz, eines Stils oder auf ähnliches warten. Das Werturteil ist da! Ihre Bilder haben sehr hohe Zahlen erreicht. Ich gratuliere Ihnen und möchte gerne die Alleinvertretung Ihrer Werke übernehmen.“
Die Leute um uns wollten auf einmal alle Autogramme von mir haben. Ein Vertrag wurde auch gleich unterzeichnet. Ich verließ den Rummelplatz zufrieden und als berühmter Maler. Eine Ausstellung fand kurz danach statt und wurde ein voller Erfolg.
Als das Jahr unseres Stipendiums abgelaufen war, packte ich beruhigt meine Koffer. Herr Bischof sollte während meines Aufenthaltes in Argentinien die Geschäfte weiterführen.
Zwei jahre vergingen. Ich malte fleißig weiter und staunte, daß Herr Bischof gar nichts von sich hören ließ. Deswegen eilte ich, als wir nach Deutschland zurückgekehrt waren, gleich nach Mannheim.
Die Galerie von Herrn Bischof war endgültig geschlossen. Ich erkundigte mich überall, aber niemand wollte darüber sprechen. Endlich, nach mühsamer Detektivarbeit, erführ ich: Kurz nach der Abfahrt, als der Kritikautomat wieder aufgestellt worden war, um neue Künstler aufzuspüren, entstand ein Gedränge. Die jungen Leute wollten Bilder aus der Kunsthalle dem Gerät zur Beurteilung vorführen, und nach einer Diskussion, ob man den empfindlichen Apparat oder die wertvollen Bilder transportieren sollte, geschah es: Jemand packte den Automaten und kippte ihn um. Nicht nur das Gerät zerbrach, sondern auch der Erfinder starb kurz darauf, wahrscheinlich versagte sein Herz. Herr Bischof bekam Depressionen, und wenn er vor Traurigkeit nicht gestorben ist, so döst er noch im Irrenhaus.
Ich aber hoffe noch immer, daß irgendwann einmal der Kritikautomat wieder konstruiert und aufgestellt werden wird.