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Ausstellung „Die Geier und die Vergangenheit –
Fekete unterwegs zu Fekete „
am 14. Juli 2013
Begrüßung:
Ursula Bathon,
Kulturhistorischer Verein Roßdorf
Einführungsvortrag in die Ausstellung
Dr. Roland Held
Darmstadt
Im textlichen Nachspann zu seiner Holzschnittmappe „Die Geier und die Zukunft“ spricht Esteban Fekete ein großes Wort gelassen aus: „Wahr ist das Wunder. Aber das ist wohl alles.“ Was hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, so seltsam nach Understatement, ja nach Undankbarkeit klingt, ist, ich gebe es zu, ein bißchen aus dem Kontext gerissen. Es bezieht sich auf die Geschichte in der Geschichte, die da erzählt wird. Näheres später. Aber das mit dem „wahren Wunder“ läßt sich bestens übertragen auch auf die steile Entwicklung, die Feketes Kunst binnen weniger Jahre durchlief.
Wichtiger nämlich noch in meinen Augen: mit den in der „Geier“-Mappe enthaltenen 27 Farbholzschnitten zog Esteban Fekete in dem Metier, über das er heute und künftig definiert wird, gestalterisch gleich mit der speziellen Ästhetik seiner Malerei, wo er es schon länger zu einer geradezu edelsteinhaft magischen Leuchtkraft gebracht hatte. Neben der Raffinesse dieser Blätter erscheinen die der „Goldener-Hahn“-Mappe fast naiv. Das mag seinen eigenen Charme haben. Für Fekete war es 1968 jedoch bereits Vergangenheit. Mit seinen koloristisch ausgereiften Drucken, mit seiner Ars Nova, seiner neuen Kunst sozusagen, zeigte er sich gerüstet, teilzunehmen und karrieremäßig teilzuhaben am ungeheuren Aufschwung, gemessen in Auflagen und Umsätzen, den Druckgraphik generell auf dem bundesrepublikanischen Markt – und nicht allein dem – in den 60er und 70er Jahren genießen sollte. „Wahr ist das Wunder. Aber das ist wohl alles“, lautet in Fekete-typischer Universalskepsis sein frühes Resümé
Aber ist denn nicht seine ganze Biographie, wenn nicht voller Wunder, so doch voll wundersamer Wendungen? Deren größte ist, daß es den in den südlichen Halbkontinent Amerikas und damit auf die Südhemisphäre des Globus Ausgewanderten am Ende doch wieder in die Mitte Europas zog? Machen wir uns nichts vor: damals erwies sich dem aufstrebenden Künstler seine exotische Herkunft – halb Puszta, halb Pampa – als automatisch interesseweckender Pluspunkt. Die Ära der selbstverständlichen Fernreisen war für die meisten von uns noch nicht angebrochen. Entsprechende Sehnsüchte wurden mit dem gelegentlichen Campingurlaub in Italien bedient. Oder sie wurden bei niedriger Hitze am Köcheln gehalten, indem man Schlagervinyl von Lolita oder Freddy auf den Plattenteller legte, die etwas von Liebes- und anderen Abenteuern unter Palmen vorzuschnulzen wußten. Surrogate, deren Lack bald Kratzer bekam. Und da kommt dieser Esteban Fekete daher mit Bildern, ob nun als Holzschnitt oder ausgeführt in Ölfarbe oder Pastellkreide, wo Fischer aus dem Kanu ihre Netze in den Fluß werfen und Gauchos Pferde zureiten, wo Häuser auf Pfählen gebaut sind und Schifflein aus aller Welt im Hafen ein- und auslaufen, wo lanzenbewehrte Indianerinnen Geflügel hüten und die Wasserkrüge noch auf dem Kopf nachhaus getragen werden. Nicht zu vergessen: wo nacktbadende Schönheiten ganz ohne Scham ihre Glieder unter Bäumen mit saftprallen Blättern recken. Und wo der letzte Schrei des Fortschritts eine Dampflokomotive ist, von deren asthmatischem Gekeuche sich nicht einmal die Rinder aus ihrer wiederkäuenden Ruhe scheuchen lassen.
Eine ganze Reihe der von mir genannten Motive, und andere dazu, belegt diese Schaffensphase, d.h. die von den späten 50er Jahren bis etwa 1965, in der heutigen Ausstellung. Es ist, wie angedeutet, die in seiner Künstler-Biographie, wo der Holzschneide EF den Maler EF ein-, wenn nicht gar überholte. Wobei es sich bei vielem von dem, was der von der Stiftung betreute Nachlaß heute preisgibt, um kleine Unikate, manchmal regelrechte Miniaturen handelt, die noch als Vorlage für Farbholzschnitte dienen sollten. Oh, Esteban Fekete war sich seines Sonderstatus bewußt. In Wahrheit kultiviert und literarisch belesen, unermüdlicher Liebhaber klassischer Musik, pflegte er ab und zu doch gerne das Image des Exoten und Barbaren, des Einzelgängers und Unangepaßten außerhalb der wechselnden Kunstgruppierungen und -trends. Irgendwann gesellte sich zu solcher Selbstmythologisierung das Image des Heimatlosen hinzu, obwohl er da gerade dabei war, sich zu dem Haus mit unverbaubarer, unbezahlbarer Aussicht auf dem Stetteritzhügel in Gundernhausen ein zweites Heim für Hochsommer- und Mittwinter-Aufenthalte an der Bucht von Kenmare im grünen Irland zu leisten. Ich behaupte, er fühlte sich in der Kunstszene etwas wie der „vertical invader“, der „vertikale Eindringling“, als den John Berger in seiner Studie „The Success and Failure of Picasso – auf deutsch: Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso“ einmal das spanische Genie im freiwilligen Exil in Paris beschrieben hat. Ich zitiere einen Abschnitt: „Picasso war ein vertikaler Eindringling. Von Spanien arbeitete er sich durch die Klapptür Barcelona auf die Bühne Europas hoch. Anfangs wurde er zurückgeschlagen. Ziemlich rasch eroberte er sich einen Brückenkopf. Schließlich wurde er zum Bezwinger. Stets jedoch, so bin ich überzeugt, blieb er sich bewußt, ein vertikaler Eindringling zu sein, stets unterzog er das, was er rings um sich sah, dem Vergleich mit dem, was er aus seinem Land, aus seiner Vergangenheit mitgebracht hatte.“
Wo wir schon bei Picasso sind – gezielt hat das kleine, für die Organisation dieser Auswahl-schau verantwortliche Team die Nachlaßbestände einmal durchforstet auf Arbeiten, die Esteban Fekete in lernender, bisweilen tastend und irrend und Umwege einschlagend lernender Auseinandersetzung mit den Meistern der modernen Malerei zeigen. Allesamt ein, zwei Generationen älter als er. Ich weiß nicht, was er in Argentinien – an so klangvollen Orten wie der Galeria Antigona in Buenos Aires, dem Museo Municipal in Cordoba – alles ausgestellt hat. Doch ich bin mir ziemlich sicher, daß wir Ihnen, meine Damen und Herren, hier eine deutsche Premiere anbieten können. Dazu zählen, leider in der Regel undatiert und unsigniert, mehrere Stilleben – ein bewährtes stilistisches Experimentierfeld –, auf denen Fekete sich an der Übertragung des Gesehenen in kubische Volumina, in rhythmisch wiederkehrende Muster, in irreal vereinfachte Farbigkeit erprobt. In einem davon, einem Querformat, sitzt eine Frau mit wuchtigem Körper und dünnen Armen, wie man sie ähnlich aus bestimmten Perioden Picassos kennt, an einem viel-eckigen Tisch mit monumentaler Obstschale. Andere Bilder halten, halb mit breiten Farbflächen, halb mit beweglich dünnen Pinselstrichen, frontal Fassaden von Villen fest, womöglich Landgüter der argentinischen Corned-Beef-Barone. Ich kann als Entstehungszeitraum die Früh-50er-Jahre nur vermuten. Man spürt deutlich: hier sucht ein Künstler noch sich selbst. Das ist gleichsam Fekete vor Fekete. Am eklatantesten ein Stilleben mit Geige und Noten vor violetter Blättchen-Tapete, das als Georges Braque durchgehen könnte. Stünden am Rand nicht, obwohl noch ohne den charakteristischen Zwischenabstand, die sechs Großbuchstaben eines bestimmten ungarischen Nachnamens.
An Matisse wiederum lassen denken die Blümchen auf dem Rock jenes Frauenporträts, dem der Künstler den Titel „Die Buchhalterin“ gegeben hat. Gewiß, die prüfend dreinblickende Dame hält ein gewichtiges Buch in Händen. Nur – statt Puschkin und Tschechow könnte es auch Einnahmen und Ausgaben in sich bergen. Handelt es sich bei der Buchhalterin doch um Maria Rothe, renommierte Heidelberger Galeristin, durch die Esteban Fekete frühe schöne Erfolge feiern konnte. Hochbetagt, ist sie immer noch im Geschäft, seit einigen Jahren im Frankfurter Pauluskirchenviertel, wo sie vornehmlich Estebans Generationsgenossen aus dem Umkreis des Informel präsentiert. Maria Rothe ist sozusagen Estebans zweite Maria. „La primera“, die erste, ist natürlich Maria Alexandra Rongine, die er 1950 in Argentinien geheiratet hat. „Ohne sie wäre ich nicht, was ich bin“, hat er, seinen Macho-Stolz einmal hintanstellend, über sie gesagt. Und wirklich war sie es, die ihn in seinen malerischen Anfängen ermutigte, deren akademische Stipendien und Verpflichtungen ihm wieder die Brücke nach Europa bauten, endgültig 1964, mitten ins blühende Wirtschaftswunderland. Sie war es, die ihn, sekundiert vom treuen Schäferhund Ulysses, moralische Rückendeckung gab während seiner wie aus heiterem Himmel über ihn gekommenen TB-Erkrankung 1965/66. In zwei von der Pinseltechnik sehr unterschiedlichen Versionen hat Esteban, sichtlich noch ganz auf den ersten Schritten seines Maler-Weges, ihr knabenhaftes Profil festgehalten.
Dem Tod knapp noch mal von der Schippe gesprungen zu sein – das Gefühl spiegelt sich am prägnantesten in einem symbolischen Gemälde, das einen Lebenden, unzweifelhaft ein Selbstporträt Feketes, und einen anonym halb im Grab liegenden Leichnam zusammen-führt. Makaberes kehrt mehrfach wieder auf den Blättern der Mappe „Die Geier und die Zukunft“. Aus Platzgründen nur als Querschnitt knapp der Hälfte der Bild- und Textblätter, der prachtvollen Farbholzschnitte und der filigran-feinlinigen schwarzweißen Holzrisse an die Wände des Museums Roßdorf gebracht, läßt es uns doch ihren Inhalt verfolgen. Eine Geschichte „von drüben“, wie es heißt, sprich: aus einem in der Erinnerung verdichteten, verinnerlichten Argentinien. Eine Geschichte, die Esteban Fekete im Nachspann Märchen nennt, die freilich eher in den Bereich von Fabel, Parabel, Allegorie fällt. Sie kulminiert im Gebirge der Binnenprovinz Cordoba, in der Heiligen Nacht, wenn, gemäß einem weit verbreiteten Volksglauben, Menschen, die sich draußen auf Horchposten begeben, plötzlich die Sprache der Tiere verstehen und so Hinweise auf die Zukunft erfahren. Daher „Die Geier und die Zukunft“. Für mich das Schlüsselmotiv ist das farbige Blatt „Wissen wollte ich“ mit dem Mann, wieder ein offenes Selbstbildnis, der, die Hände hinter die Ohren gehoben, ins Geäst hinein lauscht. Diverse Tierarten haben ihren Auftritt, am prominentesten Ulysses, dem die ganze Mappe gewidmet ist, ein Füchslein und, last but not least, die Geier, von denen der Ich-Erzähler am ehesten erwartet, daß sie ihm keine Schmeicheleien auftischen, sondern wertvolle Aufschlüsse, echte Weissagung. Man kann sich, wo der Autor Fekete heißt, denken, daß es da weniger um Tipps für Lottozahlen geht als um die Lösung für Kunst- und Künstlerprobleme. In diesem Kontext stehen ihm die Geier für die Kunstsachverständigen, die Kunstkritiker, eine Tierart, mit welcher der ansonsten beken-nende Animalist Esteban zeitlebens auf knirschendem Fuße stand.
Um so ironischer, daß heute so ein Geier vor Ihnen, meine Damen und Herren, stehen darf, um über seine Werke zu reden. Aber gab es da nicht einen aus der schreibenden Aasvogel-Spezies, den Esteban Fekete über die Jahrzehnte konstant schätzte, wenn auch eher aus der Distanz? Ja, das war der deutschlandweit renommierte Kunstkritiker Hans Platschek. Mit dem teilte er nicht nur die mehrjährige Südamerika-Erfahrung: Platschek war vor den Nazis nach Uruguay emigriert. Zudem war er einst der Eröffnungsredner einer Heidelberger Gruppenausstellung, an der der noch völlig unbekannte Fekete teilnahm. Spät angereist, praktisch noch im Trenchcoat, soll Platschek sich kurz in der Runde der gehängten Werke umgeschaut haben, um kurzentschlossen auf, nun raten Sie mal wessen, Bilder zu deuten und zu verkünden: Das sind die einzigen, in denen ich, ja, etwas Neues entdecken kann. So hat es jedenfalls Esteban immer wieder gern berichtet. Hans Platschek besaß übrigens noch eine Gemeinsamkeit mit unserem Künstler: er malte selbst. In den 50er Jahren noch in abstrakt-informellem Stil, danach programmatisch wieder figürlich, weil er etwas aussagen wollte über die Gesellschaft, in der wir leben. Dementsprechend haben auch seine Kunstkritiken und Essays stets eine historisch-politische Stoßrichtung. Esteban Fekete würde es gewiß billigen, wenn ich meine Rede mit einem Zitat daraus schließen würde. Aber ich habe trotz intensiver Lektüre nur Ungeeignetes, weil zu Langes, gedanklich zu Komplexes gefunden. Und ich will ja, wie gesagt, zum Schluß kommen. Also beschränke ich mich auf einen für alle gute Kunst gültigen Platschek-Satz. Er lautet: „Das Geistige wird mit der Hand gemacht.“ Ich bin überzeugt, daß wir das noch mit manchem Fekete-Projekt unterm Dach des Handwerksmuseums Roßdorf einlösen werden.
© Dr.Roland Held, Darmstadt 2013
Lesung der Fekete-Texte „Die Geier und die Zukunft“ ein ABC von Esteban Fekete
Ursula Paschke
Mülheim a.d. Ruhr
Wäre der Künstler noch unter uns – schließlich fiele sein erst 89. Geburtstag in den nächsten Monat – wäre er vielleicht nicht gänzlich erbaut. Geduldig vor den Kunstwerken Anderer, konnte er sich nie lange seiner eigenen Bilder erfreuen; als Getriebener war er stets vom Kampf um sein nächstes Werk erfüllt. Der Aphorismus panta rhei – alles bewegt sich fort und nichts bleibt – entsprach seinem Lebensgefühl, weshalb er einmal einem ihm wichtigen Farbholzschnitt diesen Titel gegeben hatte. Mochte man noch so anerkennende Worte für ein früheres Werk finden, sie interessierten ihn nur milde, denn alle Spannung wurde jeweils von der werdenden jüngsten Schöpfung aufgesogen.
Gestern war für ihn gestern und solange er noch einen Funken Kraft in sich spürte, gälte ihm heute vermutlich morgen. Freuen dagegen wir uns rückhaltlos seiner hinterlassenen Kunst!
Das Mappenwerk „Die Geier und die Zukunft“ ist ein ABC mit dem Atem Argentiniens, wo der Entschluß, Maler zu werden, in ihm gereift war. Jeder Buchstabe verkörpert jeweils einen extra Farbholzschnitt. Nicht alle 26 Blätter haben an den Wänden Platz gefunden, die Blätter mit den Texten der kleinen Geschichte auszugsweise, sie soll hier einmal komplett zu Gehör kommen. Auch die Texte wurden in Holz geschnitten und von den Platten gedruckt.
Diese Mappe ist eine Arbeit des Malers Esteban Fekete.
Er hat den Text geschrieben, die Holzstöcke geschnitten und das gesamte Werk auf seiner Handpresse in Gundernhausen bei Darmstadt gedruckt. Die farbigen Blätter sind Abzüge von 4 – 6 Platten.
Die Mappe erscheint im Herbst 1968 in einer einmaligen Auflage von 50 Exemplaren bei der
GALERIE WOLFGANG KETTERER – MÜNCHEN
Aprikosen habe ich im Garten, sagte mir Villera würdig, hoch auf dem Pferd. Du kannst Dir welche holen. Schön reif und billig sind sie. An seine Aprikosen glaubte ich nicht ganz, aber
Bergauf, bergab, zwischen dornigen Matten lief ich, von der Sonne gegen den steinigen Pfad gepreßt. Weit weg wohnte der alte Villera. Langsam wurde mein Weg schmaler, die Matten größer. Ich war vor der Hütte angekommen. Bellen.
Coloso! Auf mich kamen ein paar magere Hunde und das Pferd zu. Feindlich. Die Stimme von Villera kam mit dem Rauch durch die Tür: Coloso zurück! Nun war auch er da. Zusammengeschrumpft, uralt, zerlumpt. Geh weg, Coloso!
Dort sind die Bäume. Schüttle sie, dann sind die Aprikosen unten. Leiter oder Stangen? Nein, schütteln. Ich ging hin. Die riesigen Bäume waren nicht zu bewegen, kaum einige Früchte fielen zu Boden, und wurden gleich von den Hunden gierig aufgefressen. Da stopfte ich etwas Laub in den Sack, damit ich auch bezahlen könnte, denn Almosen sind demütigend.
Etwas habe ich gesammelt. Hier das Geld. Genügt es? Nun saß Villera auf einem Stein und sprach: Morgen ist ein großer Tag. Vollmond und Weihnachtsabend. Um Mitternacht sprechen die Tiere und die Vögel wissen von unserer Zukunft. Du mußt gut zuhören. Lach’ nicht, es ist mein voller Ernst.
Freilich, wie hätte ich lachen können? Daheim im Gras am Bach liegend überlegte ich mir, welchen Vogel ich belauschen sollte. Um Schmeicheleien zu vermeiden, sollten es Vögel sein, die von mir keine Vorteile ziehen. Vor Menschen dürfen sie sich nicht fürchten. Geschwätzig sollten sie auch nicht sein, sonst würden sie die kurze Zeit mit Klatsch verschwenden. Ich dachte und dachte und gab es fast auf, fast.
Geier. Warum denn nicht die Geier? Sie erfüllten die Bedingungen. Also? Früher hatten sie im Hochtal am ausgetrockneten Fluß gehaust. Ich beschloß hinzugehen, um zu sehen, ob sie noch da wären. Gleich.
Hinten in meinem langen Schatten lief Ulysses. Er kam immer mit. Auch beim Villera ist er mitgewesen. Unser Weg war breit. Hatte in alten Zeiten viel gedient: den ganzen Wald hatte man abtransportiert. Wenige Bäume verblieben. Sie konnten sich gegen die Wüste nicht wehren. Nun stechen sie mit ihren nackten Ästen in den Himmel.
Immer höher sind wir gestiegen. Einen eilenden Priester auf kleinem Pferd hatten wir von weitem gesehen. Neugierige Rinder drehten sich um und betrachteten uns. Was wollt ihr?
Jetzt mußten wir schon im Revier der Geier sein. Stille. Die Sonne badete in den Bergen. Ulysses schnupperte in die Luft und auch meine Nase fing an zu jucken.
Kadaver. Mal ein Pferd gewesen. Die Geier tanzten daneben. Als sie aber Ulysses sahen, flogen sie mit grobem Schimpfen weg. Morgen muß ich alleine kommen.
Langsam gingen wir zum Dorf hinunter. Ja, an den Vögeln durfte ich nicht zweifeln: gerade vor kurzem war ein Wunder geschehen bei uns nebenan auf dem Land.
Mais hatte unser reicher Nachbar ausgesät. Er freute sich, wie die Pflanzen jeden Tag größer wurden. Schon war hier und da ein heller Bart zu sehen. Aber auch ein paar Heuschrecken sah er eines Morgens.
Nachmittags waren es schon Unmengen von hüpfenden Teufeln. Alles würden sie auffressen. Unser Mann war entschlossen. Er würde sie mit Gift bekämpfen. Bitte nicht,
Ohne Bienen würde ich bleiben, flehte ihn einer der Ärmsten des Dorfes an. Da zweifelte unser Mann. Was sollte er nun opfern?
Prächtige Felder oder einige Bienenstöcke? Doch er war gütig und verschenkte seinen Mais der Plage.
Quittegelb war der Himmel am nächsten Morgen, unwahrscheinlich war er. Etwas Ungewöhnliches mußte geschehen. Und siehe: Ein Schatten zog über die verseuchten Felder. Es waren Vögel. Sie kamen und kamen wie aus einer Quelle.
Rebhühner. Sie fielen über die Heuschrecken her und fraßen und fraßen Tage und Nächte, bis keine mehr übrig blieb. Dann verschwanden sie restlos.
Seltsames Wunder war’s. Ich versuchte an alle Einzelheiten mich zu erinnern, als ich am Weihnachtsabend Ulysses im Haus einsperrte und auf dem Weg zu den Geiern dahinschritt.
Talaufwärts bin ich im Mondschein alleine getrabt. Ulysses habe ich des liebsten Abenteuers beraubt. Der Zukunft wegen verraten. Ich trabte weiter, unzufrieden und traurig.
Ulysses ist umsonst daheim geblieben. Seit einiger Zeit lief eine junge Füchsin hinter mir her. Ich versuchte sie wegzujagen, doch sie kam immer wieder, immer näher. Wie ein Hündchen ging sie nun neben mir her. Alles umsonst!
Verjagen würde sie die Geier. Aber nein. Sie saßen auf dem Baum, ganz ruhig. Ich lauschte. Sie schwatzten alle durcheinander. Leise. Vieles unverständlich. Und sie lachten. Yuwa und Njak und Xys wiederholten sie. Namen vielleicht?
Wissen wollte ich unbedingt, wovon und über wen sie sprachen. Ich ärgerte mich, daß ich nicht alles hören konnte. Das Gespräch wurde lauter, man regte sich auf. Ob Yuwa und Xys ein gutes Liebespaar wären?
Xys ist nicht da. Mit Xys wäre alles viel lustiger gewesen, die anderen zwei sind so todernst, so langweilig. Xys würde… War Ulysses für die Geier Xys?
Yuwa ist ganz blöd. Sie glaubt, ein Mensch müsse ihr die Zukunft sagen. Deswegen ist sie nun auch da und wartet. Auf einmal verstand ich: Die junge Füchsin, die mich verfolgte, war Yuwa.
Zögernd drehte ich mich um. Sie sah mich gespannt an, erwartungsvoll. Ich sagte ihr alles, was sie hören wollte: vom schönen starken Bräutigam, von klugen Kindern und leckeren Hühnern. Sie war mit ihrer Zukunft zufrieden.
Sie fragen, ob diese Erzählung ein Märchen von drüben sei? Nein, ich habe sie erfunden und als ABC gestaltet. Wahr sind die Geier auf den alten, kahlen Bergen im argentinischen Córdoba. Wahr ist der uralte Villera mit seinen unzugänglichen Aprikosen und wahr ist das Wunder. Aber das ist wohl alles.
Mein Märchen ist eigentlich eine Schlüsselgeschichte: Ich, ein Künstler, nicht mehr ganz jung und unerfahren, werde stets von Ulysses begleitet. Er ist meine Kunst, die ich der Zukunft wegen verraten könnte. Villera ist das Publikum. Er könnte mir die Aprikosen – den Ruhm und die Anerkennung – geben, aber da sind noch die vielen anderen Hungrigen.
Nun möchte ich das Orakel hören: Was wird in Zukunft von den Kunstmachern zur Kunst gemacht? Aber die Geier plappern nur über Kunst und Künstler. Sie sind die Sachverständigen und Kunstgelehrten, die sich vom Vergangenen nähren.
Auch ich selbst kann einem jungen Künstler – dem Füchslein – nur die Hoffnung geben, daß seine Träume sich verwirklichen werden: Er muß an die Zukunft seiner Kunst glauben, trotz aller Enttäuschungen, die das tägliche Leben für ihn bereithält.
ESTEBAN FEKETE
Fotoimpressionen der Vernissage