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Ausstellung „Gen Irland und anderswohin –
Esteban Fekete auf Reisen „
am 12. Oktober 2014
Begrüßung:
Ursula Bathon,
Kulturhistorischer Verein Roßdorf
Eröffnungsrede in die Ausstellung
Dr. Roland Held
Darmstadt
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Diese Sätze, nachgerade vielleicht die berühmteste Eigenaussage in der neueren deutschen Kunstgeschichte, diese Sätze, meine sehr verehrten Damen und Herren, vertraute Paul Klee vor hundert Jahren, am 17.April 1914 seinem Tagebuch an. Zwei Wochen nur dauerte der Aufenthalt, der ihm und seinen Malerfreunden August Macke und Louis Moillet am Vorabend des Ersten Weltkriegs in Tunesien vergönnt war, heute allgemein bekannt als die Tunis-Reise. Doch als lange, lange fortwirkend erweisen sollte sich die Begegnung mit den exotischen Farben, dem Licht, der Landschaft zwischen Meer und Bergen, aber auch mit Kalligraphie und Ornamentik der Moscheen, Minarette und Stadtpaläste, der Kaffeehäuser und Soukh-Märkte in der Medina, der Altstadt von Tunis, was die drei mitteleuropäischen Künstler geradezu in einen Rausch versetzte. Sie scheuten dabei in ihrer Neugier keinen Schlenker. Über das gemeinsame Hineinspähen in ein Prostituiertengäßchen, unter Aufsicht übrigens einer Eskorte der französischen Kolonialpolizei, berichtete Macke seiner daheim gebliebenen Frau treuherzig in einem Brief: „In der Sonne saßen oder standen die Weiber in der Tür. Es war ein herrlicher Anblick. So bunt und dabei so klar wie Kirchenfenster.“
Wann wohl kam für Esteban Fekete der Moment, da ihm aufging, daß er zum Maler bestimmt ist, daß er und die Farbe eins sind? Wir können nur sicher sein, daß es während seiner argentinischen Jahre war, gegen 1952. Einen Bekenntnisbrief brauchte er nicht zu schreiben. Seine Frau Maria war bei ihm; sie war es ja, die ihn von Anfang an in seinen malerischen Versuchen unterstützte.Was freilich eine Offenbarungserfahrung, analog zu der von Paul Klee, nicht ausschließt. Nehmen wir an, daß es im Falle unseres EF die Kon-frontation mit dem auf seine Weise ja auch exotischen südamerikanischen Halbkontinent war: einerseits die sehr europäische, durch Einwanderer aus vielen Ländern kosmopoliti-sche und kulturgesättigte Hauptstadt Buenos Aires, andererseits und in scharfem Kontrast dazu die ländliche Ruhe und Rückständigkeit im Hinterland, speziell entlang der Flüsse Rio Uruguay und Rio Paraná, die im Unterlauf immer mehr in Sumpfgebiete übergehen, bis sie ihr Wasser in den gewaltigen Mündungstrichter des Rio de la Plata ergießen, an dem Buenos Aires liegt, die Stadt mit der dank Meeresnähe wieder besseren Luft. Doch wenn wir von den Eindrücken schließen, die sich in der frühen Fekete’schen Malerei und Graphik niederschlagen, dann sind es eben die ländlichen Zonen mit gemäßigt tropischer Vegetation, die ihn zu seinen Darstellungen kubisch vereinfachter Behausungen, farblich ins Irreale gesteigerter Tiere und im archaisch-bäuerlichen Leben verwurzelter Menschen gereizt haben. Westwärts bis hin zu den trockeneren, gelegentlich in Kaktuswüste über-gehenden Ausläufern der Anden, wohin das Ehepaar Fekete gelegentliche Reisen unter-nahm. Dem Flecken Pilar, der im Titel vieler Arbeiten auftaucht, ist seither übrigens jegli-che Idyllik abhanden gekommen; heute ist er so etwas wie ein Nobelvorort der Hauptstadt mit vielen Hotels und, wenn ich richtig informiert bin, der höchsten Dichte von Golfclubs.
Dem aufmerksamen Zuhörer dürfte längst etwas Wesentliches aufgefallen sein. Der Titel unserer Ausstellung „Gen Irland und anderswohin – Esteban Fekete auf Reisen“ bedarf dringend eines Kommentars. Handelt es sich doch bei EF keineswegs um einen Künstler, der sich touristisch durch die Welt zu bewegen pflegt. Der womöglich im Reisebüro die Tour paketmäßig bucht, die ihm am aussichtsreichsten die neuen Eindrücke verspricht, welche seiner im heimischen Atelier träge gewordenen Inspiration wieder auf die Sprünge helfen sollen. Nein, wenn EF größere Distanzen hinter sich brachte, dann zunächst mal, um sich dauerhaft am Zielort niederzulassen. 1948 überquerte er den Atlantik, nicht um ein paar Wochen den Gaucho zu spielen, sondern um sich dort eine Existenz aufzubauen, erst mal als Ingenieur in einem Bauplanungsbüro. Das Europa, das er im Rücken hatte, lag ja nicht nur in den Trümmern, die ein unlängst beendeter Krieg angerichtet hatte; es schien mit der zunehmenden Etablierung von West- und Ostblock möglicherweise bereits in Vorbereitung neuer Kriege. Fest gewillt war er, sich auf die Fremde einzulassen, bis sie Heimat war. Und dann sprang sie ihm mit so vielen Motiven entgegen, daß der Maler in ihm den Bauzeichner binnen kurzem überwältigte…
Um diese biographische Besonderheit optimal zu klären, muß ich zuvor doch ein paar historische Anmerkungen liefern, was es mit dem Reisen bei anderen Künstlern auf sich hat. Das Phänomen ist alt, stetig erweitert hat sich nur der geographische Radius, in dem es stattfindet. Schon im Mittelalter wechselten die Maler, Bildhauer, Architekten häufig den Aufenthaltsort, weil Aufträge sie quer durchs Land führten, manchmal europaweit. Der Ortswechsel begann eigentlich schon mit der Wahl eines Meisters, bei dem man in die Lehre ging. Idealtypisch die Reisekarriere Albrecht Dürers. Noch nicht 20jährig, brach er 1490 von Nürnberg via Straßburg nach Colmar auf, nur um zu erfahren, daß der anvisierte Lehrer Martin Schongauer vor kurzem verstorben war. Weswegen er seinen Wanderstab umlenkte Richtung Basel, einer aufstrebenden Stadt des Buchdrucks, wo er sich einarbeitete in die druckgraphischen Techniken der Epoche. 1494/95 dann Dürers erste Italienfahrt, im Wunsch, Beispiele der fortschrittlichen Renaissance-Kunst mit eigenen Augen zu sehen und zu kopieren. Auf dem Weg über die Alpen nach Venedig entstanden übrigens, als Aquarelle, die ersten autonomen Landschaftsbilder der Kunstgeschichte. Antriebskraft hinter der zweiten Italienreise 505/06 war dann das systematische Studium von Anatomie und Perspektive in der aktuellen italienischen Malerei. Nebenbei ging Albrecht Dürer auf, wie viel angesehener der Status des Künstlers südlich der Alpen war: „Ich bin ein Edelmann zu Venedig geworden. … Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer. Oh, wie wird mich nach der Sonne frieren.“ Aber das sollte sich ändern. Als über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte, speziell über seine leichter transportablen Holzschnitte und Stiche wirksame künstlerische Autorität unternahm er 1520/21 schließlich seine Niederländische Reise. Primär eine Reise, um Kontakte zu schließen und Verkäufe anzuleiern. Doch ließ er sich in Brüssel nicht die Gelegenheit entgehen, die kürzlich von Cortéz in Mexiko zusammengerafften Gold- und Silberschätze und sonstigen kunsthandwerklichen Stücke des besiegten Aztekenreiches zu inspizieren. Damit war die Reise-Agenda der europäi-schen Künstler auf ein halbes Jahrtausend festgelegt. Den Primat genoß Italien, in geringe-rem Maße auch Griechenland mit der Fülle von Hinterlassenschaften der klassischen Antike; siehe Adam Elsheimer und Claude Lorrain, die Nazarener und die Deutschrömer. Ins Blickfeld gerieten im Lauf der Zeit aber auch die entgegengesetzten Gestade des Mittelmeeres, Ägypten und das Heilige Land, Asien und die noch dahinter gelegenen Inseln im Pazifischen Ozean; Beispiele sind Delacroix und die Schule der Orientalisten in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, etwa zeitgleich zu den eingangs genannten Tunisreisenden wiederum Nolde und Pechstein auf den Spuren von Paul Gauguin, der einst aufgebrochen war mit dem Programm: „Ich will das Atelier der Tropen begründen.“
Gewiß profitierte Esteban Fekete vom Mythos solch illustrer Kollegen, als er um 1960 – ich kann mir es an einem 12.Oktober, exakt 522 Jahre nach der Entdeckung Amerikas, nicht verkneifen – wie eine Art Anti-Kolumbus den Weg ostwärts, in die Alte Welt zu-rückfand, weniger aus eigenem Antrieb zunächst als geschuldet den Stipendien seiner wissenschaftlich sich profilierenden Frau. Die exotische Welt, von der bildhafte Proben vorlegte, färbte ab auch auf ihn, rückte ihn lange in den Rang eines Exoten in der deutschen Szene. Ebenso lang blieb er der Motivwelt der südlichen Hemisphäre treu, unter anderem mit den Blättern und der Fabelerzählung der Holzschnittmappe „Die Geier und die Zukunft“, die im Mittelpunkt unserer letzten Ausstellung hier stand. Es dauerte eine Weile, bis er ein Verhältnis zu seiner südhessischen Umgebung gefunden hatte, wo er sich, zusammen mit Maria, 1965/66 mit dem Bau des eigenen Hauses auf dem Gundernhausener Stetteritz-Hügel endgültig etablierte. Außen vor lasse ich jetzt mal die Veduten, mit denen Fekete, oft in Fremdauftrag, auf spezifische Örtlichkeiten einging. Konzentriere ich mich stattdessen auf das, was er sozusagen im Eigenauftrag schuf, dann fällt mir auf, wie er deutsche Szenerie abermals nicht touristisch durchmessen und abgeschildert, sondern symbolisch verdichtet und aufgeladen hat. Weswegen wir aus der „Vier Jahreszeiten“-Mappe von 1973 die beiden Beispiele „Sommer. Ein Idyll“ und „Winter. Danach“ in der Auswahl haben. Auf beiden bleibt Figürlichkeit zugunsten von Landschaft ausgespart. Auf „Sommer“ wälzt sich eine Blechlawine von Verkehr, im Grunde bereits ein Autofriedhof, durch ein Ambiente, das, definiert durch spitze Berge und ein noch spitzeres Kirchlein, eigentlich von gewachsener Tradition künden könnte. Doch die fegt der Zivilisationsskeptiker EF mit brüskem Handstreich fort. Auf „Winter“, dem anderen Blatt, hat man es unzweifelhaft mit einer post-apokalyptischen Landschaft zu tun. Die ungenannte Katastrophe hat Gebäude zerschlagen, Trümmer, kahle Bäume, Wasserlachen und das Skelett eines Riesenfischs zurückgelassen. Derlei Symbolprospekte sind es, die das Fekete’sche Deutschlandbild stark prägen. Sogar wenn er sich, sagen wir, den Steinbruch der Odenwälder Hartsteinindustrie vorknöpfte, sickert in den vordergründigen Realismus viel Stimmungshaft-Irreales hinein. Ich scheue mich nicht, darauf den Begriff „Phantasie-Reisen“ anzuwenden. Die Resultate stehen gleichwertig neben dem von kurzen tatsächlichen Reisen, sei’s nach Südfrankreich, ins Geburtsland Ungarn oder ins schweizerische Ammern, Heimgebrachten.
Bemerkenswert: auf den Boden Italiens, heißes Sehnsuchtsziel von Generationen nord- und mitteleuropäischer Künstler, hat Esteban Fekete den Fuß nie gesetzt. Die zyklopischen Steinklötze der Andenfestung Macchu Picchu, besucht auf einer Südamerikafahrt Ende der siebziger Jahre, waren ihm offenbar kongenialer als irgendein Kolosseum in Rom oder Tempel auf Sizilien. Da liebäugelt er doch wieder mit dem romantischen Kostüm des Kultur-Exoten und -Barbaren… Fekete-Kenner wissen: 1981 erfolgte seine Entdeckung Irlands, in das er sich aufgrund des Dornröschenschlafs, in dem die Grüne Insel am Rand des Kontinents damals noch begriffen schien, sofort verliebte, namentlich der alles andere als übervölkerte Südwestzipfel, wo Land und Meer mittels Halbinseln und Fjorden ineinanderzahnen wie Puzzleteile. Dort ist es, wo die Feketes ein Häuschen mieteten. Nun, an ein intaktes neues Arkadien glaubte er kaum. Seine auf die gesamte moderne Welt auf Distanz gehende Grundhaltung exportierte er dorthin mit. Doch fand er genug unverbautes Terrain vor, um seine nach wie vor symbolischen Bilder von Zuständen vor Aufstieg und nach Untergang der Zivilisation einzubetten in mehr oder weniger tatsächlich so angetroffene Landschaften. Symptomatisch, daß nicht nur Häfen mit verrosteten, Klippen mit zerschellten Schiffen reichlich motivisches Futter abgeben, sondern bald auch wieder Autofriedhöfe, illegale natürlich, von denen EF fassungslos feststellte, daß die Iren sie – wie die Menschenfriedhöfe – mit Vorliebe an den schönsten Plätzen ihres Landes anlegen. Von all dem geben Werkbeispiele, beginnend mit dem Inhalt der Mappe „Irland – Irrland“, heute Kunde. Auch die irischen Gemälde und Holzschnitte sind eine Feier der Welt. Doch sie feiern sie als eine morbide, in Stagnation und Verfall befindliche, erbarmungsloser als andere Welten ausgesetzt dem Nagen und Wüten der Elemente.
Zum Heft 2 der Zeitschrift „Kunstszene Darmstadt“ vom Mai 1986, herausgegeben vom Kunstarchiv, hat Esteban Fekete einen Kurzessay beigesteuert, in dem es eigentlich um die Überholtheit des Avantgarde-Begriffs geht. Aber er enthält einen Abschnitt, der uns ahnen läßt, was ihm am zwei mal jährlich, mittsommers wie mittwinters, jeweils für längere Phasen, aufgesuchten Irland so gefiel: „Denn heute glauben wir nicht mehr an den Fortschritt, mindestens nicht an den heiligen, alles heilenden Fortschritt. Überleben möchten wir. Bescheidener und unsicher sind wir geworden. Heideggers Seiendes ist heute wichtiger als Nietzsches Übermensch. Wir sehen, daß wir Menschen vieles machen können, aber nicht dürfen. Der Raum ist eng geworden. Wir haben kein Naturgefühl mehr, fühlen nicht mehr die Gefahr, können nicht mehr leben nur des Lebens wegen. Freude ist fast immer Stimulanz, Genuß artet fast immer in Genußsucht aus. Der Mensch sehnt sich aber nach Einfachheit und natürlichem Leben.“ Einen Abglanz davon, meine Damen und Herren, hat Fekete in Irland gewiß erfahren, eine Weile zumindest, bis die Grüne Insel in den neunziger und nuller Jahren den ökonomischen Tigersprung gemacht hat. Nochmals: ich sehe EF nicht in der Linie der Künstler, die touristisch unterwegs sind. Nicht in der Linie der Bildungsreisenden. Zweifellos: Reisen bildet. Und Reisen erbringt Bilder. Doch unser Künstler, der sich gerne zum Überall-Fremden, zum Heimatlosen stilisierte, reiste, weil es ihn mehrmals neu auf Suche nach einem Platz trieb, der mit seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten in Einklang zu bringen war. Machen wir uns nichts vor: wie in Ungarn, Frankreich, Argentinien, Deutschland blieb er zuletzt auch in Irland ein – Durchreisender.
© Dr.Roland Held, Darmstadt 2014
Fotoimpressionen der Vernissage
Fotos: Klaus Seiwald