am 19. Juli 2015
„Wie kommt man nur dazu, sich einen anderen Maler ins Atelier zu holen!“ Als Pablo Picasso diesen Ausruf der Verwunderung von sich gab, meinte er damit keinen Werkstatt-Untermieter aus Fleisch und Blut. Er redete vielmehr von seiner eigenen privaten Sammlung: Bilder und Skulpturen von fremder Hand, die ihn in den frühen, armen Jahren im Atelier im Bateau-Lavoir umgaben, das ihm auch als Koch- und Schlafplatz diente; später schmückten ausgewählte Stücke seine immer nobleren Wohnungen; und von einem weiteren Teil heißt es, daß er ihn unter Verschluß hielt in einem Zimmer, zu dem nur er den Schlüssel besaß – Ehrengästen pflegte er dann Vorführungen zu geben, bei denen er, hektisch vor Begeisterung und Stolz, ein Werk immer nur ganz kurz aus den Stapeln hervorzog, um flugs zum nächsten überzugehen. Aber wer konnte sich schon rühmen, zu Picassos Ehrengästen zu zählen? Folglich rankte sich um die Sammlung bald die Fama, sie sei quantitativ unermeßlich und qualitativ makellos. Der Künstler entschied, sie solle nach seinem Tod in die Hände des französischen Staates übergehen, am besten in den Louvre einziehen. Dazu kam es dann doch nicht. Stattdessen erhielt sie ihren Platz im 1985 eröffneten Musée Picasso im Pariser Viertel Marais: Gemälde von einigen älteren Meistern, sodann von Cézanne, Degas, Modigliani, Balthus, Derain, Braque, Miró, vor allem jedoch von Renoir, dem Zöllner Rousseau und Matisse; dazu rund 120 Skulpturen afrikanischer und ozeanischer Herkunft, „Negerkunst“ sagte man damals und dachte sich nichts Böses dabei.
„Wie kommt man nur dazu, sich einen anderen Maler ins Atelier zu holen!“ Ich lege den selben Satz jetzt mal Esteban Fekete in den Mund. Denn einige der Arbeiten, die in der heutigen Ausstellung erstmals gemeinsam öffentlich präsentiert sind, hingen tatsächlich, teils angepinnt, teils mit Klammern an Schnüren, in dem Kellerraum auf dem Stetteritz, wo Fekete seine Druckwerkstatt hatte. Seite an Seite mit vielen Plakaten zu eigenen und fremden Ausstellungen und ihnen offenbar gleichwertig, weil ebenfalls ungerahmt, ungeschützt dem Licht, den Temperaturschwankungen, Staub und Spinnweben ausgesetzt. Das als Erklärung für die Vergilbungen, Stockflecke, gelegentliche Knitter und Risse. Der Rest fand sich in Fächern und Mappen, ungeordnet, ansonsten nicht anders als die eigene druckgraphische Produktion. Ob Esteban Fekete nach dem Erwerb überhaupt noch einen Blick darauf warf – ich weiß es wirklich nicht. „Wie also kommt man nur dazu, sich einen anderen Maler ins Atelier zu holen!“ Bei Picasso wie Fekete, bei dem Spanier, den es nach Paris, ebenso wie bei dem Ungarn, den es – mit noch mehr Zwischenstationen – nach Gundernhausen verschlagen hat, gibt es auf die Selbstbefragung nicht bloß eine Antwort. Fakt ist, daß beide profitierten von Anerkennungsgaben, die Künstlerkollegen überreichten, vielleicht auf Gegenseitigkeit. Ob Fekete sich, so wie Picasso es mit dem beim legendären Kunsthändler Ambroise Vollard eingetauschten Cézanne-Gemälde „Das schwarze Schloß“ gehalten hatte, beim gemeinsamen Galeristen statt Bezahlung in klingender Münze dies und jenes an Naturalia ausgesucht hat, läßt sich nur vermuten. Picasso hat immer wieder dazugekauft, wenn auch nicht unbedingt systematisch, eher gelegenheitsorientiert und geschmacklich sehr breit aufgestellt. Bei Fekete bezweifle ich Zukäufe entschieden, obschon er die Mittel dazu hatte. Wenn auch das, was ich jetzt mal, etwas hochstaplerisch, „die Sammlung Fekete“ nenne, geschmacklich sehr breit aufgestellt ist, dann weil sie das ganze Spektrum dessen umfaßt, was Künstlerfreunde, aber auch Schüler und Verehrer seines Werks ihm über Jahrzehnte in die Hand drückten oder postalisch zuschickten, oft als Geburtstags- oder Neujahrsgruß. Meistens Graphisches, ob gezeichnet oder gedruckt, was bei einem bekannten Farbholzschneider ja passend ist. Weswegen wir es hier mit einer Auswahl, denn das ist es, von Beispielen fast durchweg auf dem Träger Papier zu tun haben.
Ein letztes mal: „Wie kommt man dazu, sich einen fremden Maler ins Atelier zu holen!“ Von Picasso weiß man, daß er sich in einer Wettbewerbssituation mit den Malern der Gegenwart, aber auch der Vergangenheit empfand. Er wollte von ihnen lernen, seine Kunst an deren Kunst messen, um den Preis, daß er sie manchmal regelrecht massakrierte und kannibalisierte. Was man sofort versteht, wenn man seine manisch betriebene bildnerische Auseinandersetzung mit bestimmten Werken, etwa von Cranach, Velazquez oder Manet, gesehen hat. Ähnlich, wenn auch ein wenig ehrfürchtiger waren die Antriebe, die am Anfang des Phänomens stehen, daß Künstler Künstler sammeln. Zu Zwecken des Studiums und des lehrreichen Vergleichs etwa legte sich Giorgio Vasari, bekannt als Biograph der großen Maler und Bildhauer der italienischen Renaissance und ausgestattet mit besten Direktkontakten, eine Kollektion von hochkarätigen Handzeichnungen zu, die er liebevoll in fünf Bänden einklebte und mit getuschten Rahmenmustern verzierte. Im Holland des 17. Jahrhunderts hatten nicht wenige Maler das Haus mit Fremdleinwänden deswegen voll, weil sie damit handelten. So auch Rembrandt, dessen Sammelwut zu seinem schließlichen finanziellen Ruin betrug. Im Nachlaß-Inventar von Rubens fanden sich 10 Tizians, 6 Veroneses, 6 Tintorettos, ein Raffael, dazu Werke vieler flämischer Zeitgenossen. In ihrem Buch zum Thema, „Sammler und Mäzene“, resümiert Hannelore Sachs: „Mit fremder Kunst und verschiedenen Raritäten angefüllte Ateliers und Künstlerwerkstätten lassen sich durch die Jahrhunderte hindurch bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgen. Der Reiz des Verschiedenartigen, die Freude am Einzelstück oder am dekorativen Zusammenklang erwiesen sich für viele Künstler als anregend für ihr eigenes Arbeiten.“
Nun, ob Esteban Fekete sich durch irgendwelche Bilder von fremder Hand, es sei denn es waren im Museum angetroffene und signiert von Gauguin und Munch, Matisse und Bonnard sowie, nicht zu vergessen, Picasso, ob er sich davon in seinem malerischen oder druckgraphischen Schaffen groß beeinflussen ließ, mag füglich bezweifelt werden. Ich vermute, er bewahrte das ihm Überreichte oder Zugeschickte eher deswegen auf, weil ihm die dahinterstehende Person, ob männlich oder weiblich, lieb und wert war oder weil er sich schlichtweg geschmeichelt fühlte, mindestens so sehr wie aus dem Grund, daß ein Werk oder Werklein ihm besonders gefiel. An manches knüpfte er gewiß Erinnerungen. Die mit den Namen [Leopoldo] Presas und [Carlos] Torrelardona ausgezeichneten Arbeiten – über ihre Urheber wird man ausführlich im Internet informiert – reichen zurück in seine argentinischen Jahre, von denen wir wissen, daß es für ihn die künstlerische Formationszeit war. An ihren modernistischen Eigenschaften mag er, damals im Brotberuf Bauzeichner in einem Büro für Hoch- und Tiefbau, sich tatsächlich geschult haben. Südamerika-Bezug haben ferner die Holzschnitte von Alfred Pohl und Karl-Heinz Hansen Bahia. Dieser wanderte 1949, ein Jahr später als Fekete, in die Südhemisphäre aus, allerdings nach Brasilien; jener wirkte um 1970 mehrere Jahre als Lehrer und pädagogischer Berater in Peru und Kolumbien. Daß das Interesse unseres Künstlers für holzschneidende Kollegen besonders rege war, ist nachvollziehbar; es schlug sich nieder im Besitz einer ganzen Reihe von zum Teil direkt vom hölzernen Druckstock gezogenen Ausstellungsplakaten, davon wir eine Auswahl zeigen. Darunter eines von HAP Grieshaber, in meinen Augen bezüglich des konträren Einsatzes der gleichen Mittel Holzplatte und Farbe sein ewiger Antipode. In der Holzschnitt-Technik, anders als Feketes Spezialität jedoch aufs expressive Schwarzweiß beschränkt, haben wir drei figürliche Beispiele von Margarethe Krieger, deutlich in der Nachfolge der Brücke-Künstler, in einen Rahmen gegeben, eines davon betitelt „König Esteban“. Ein Raum weiter findet sich ein schmales Querformat von einem M.Buchanan. Sein Titel „Der Specht ist tot“ variiert ein Thema, das von Esteban Fekete in seinem Leben gleich mehrfach angepackt worden ist.
© Dr.Roland Held, Darmstadt 2015