Die Vernissage der Ausstellung „Figur und Landschaft“ fand in den Galerieräumen der Esteban-Fekete-Stiftung statt.
~ Werke von Esteban Fekete und Friedrich Höfer ~
Museum Roßdorf am Sonntag den 02. April 2023 um 11.00 Uhr Holzgasse 7, 64389 Roßdorf
Dauer der Ausstellung bis 29. Oktober 2023 Geöffnet: Sonntags von 15 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung mit Ursula Bathon, Tel. 06154 82130
Dr. Roland Held zur Eröffnung der Ausstellung: „Figur und Landschaft“- Dialogausstellung Esteban Fekete und Friedrich Höfer im Museum Roßdorf, Fekete-Galerie am 2.April 2023
Auch der Kenner, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist manchmal betriebsblind. Als vor vier Wochen die Entscheidung anstand, welche zwei Motive für die Einladungskarte zu dieser, unserer mittlerweile wohl zehnten Dialogausstellung zu kombinieren sein sollten, plädierte ich, was Esteban Feketes Beitrag betrifft, für einen Schwarzweiß-Holzschnitt. Nicht nur der Abwechslung wegen. In Schwarzweiß gehalten sind ja auch fast alle Holzschnitte Friedrich Höfers, wie schon das Atelierfoto ahnen läßt, das seinerseits den Weg auf die Karte gefunden hat. Nachträglich aber verstehe ich, warum unser Gastkünstler, der bei der Auswahl das letzte Wort hatte, dem nun im Ausschnitt abgebildeten Fekete-Farbholzschnitt „Marmorklippen“ den Zuschlag gab. Eine späte, daher vermutlich von Irland inspirierte Szene, mit Felsenküste, blaugrünem Meer und einem Schifflein darauf. Und im Vordergrund eine bauchige Erscheinung, eine angespülte Jakobsmuschel darstellend. Ein Blick bloß über die von Friedrich Höfer eingebrachten Werke genügt zur Bestätigung: auch er ist, als Zeichner, Druckgraphiker und besonders als Bildhauer fasziniert, ja besessen von Formen, die zum Runden, zur weichen Kurve, zur schwellenden Volute hinstreben. Als wäre es ihm Anliegen und spezifische Gabe, die steinzeitlichen Venus-Figurinen, etwa die aus dem österreichischen Willendorf, auf ihren Formkern zu reduzieren.
Nun lautet der Titel unserer Ausstellung „Figur UND Landschaft“. Kunsthistorische Themenkomplexe mit langer Tradition, die von beiden Beiträgern dieser Doppelschau mit vielen Beispielen veranschaulicht werden. Kein Mangel an weiblichen Akten herrscht im Fekete’schen Oeuvre, wie schon am Treppenaufgang der „Liegende grüne Akt“ von 1961 belegt, jenem Jahr, da der Meister den Farbholzschnitt überhaupt für sich entdeckte und im selben Zug einen kühnen, oft kontra-naturalistischen Umgang mit den Farben. Fast durchweg bevorzugte er das Motiv des passiv wie hingegossen auf dem Lager ausgestreckten Frauenkörpers. Als würde dieser den Mann, den Liebhaber erwarten wie Edouard Manets skandalberühmte „Olympia“, fast exakt hundert Jahre davor gemalt und Fekete ganz offen als Orientierungspunkt dienend, so wie die „Olympia“ Bezug nahm auf noch ältere schlummernde Schöne von Tizian und Giorgione. Ja, es ist der männliche Blick, der sich hier verrät – über den im Zuge einer feministischen Betrachtung der Kulturgeschichte seither viel geforscht und geschrieben worden ist. Davon lenken auch nicht ab etwaige stillebenhafte oder offen symbolische Zutaten zum Akt, etwa ein Vogelkäfig oder auf einem Tisch arrangierte Flaschen und aufgeschnittene Früchte. Zumal letztere darauf angelegt sind, bald phallische, bald vulvische Assoziationen zu wecken. Die Maserung seines Holzstocks mochte Esteban Fekete gelegentlich auf eine Struktur-Idee bringen; motivische Zufälle jedoch gibt es auf seinen Blättern nicht. Auch angesichts der Höfer’schen Werke, ob nun plastischer oder graphischer Natur, geht unsere Phantasie keineswegs mit uns durch, wenn wir an Genitales und Geschlechtliches denken. Freilich ist das bei dem Künstler, dessen primäre Anregung lange Zeit der weibliche Akt war, eingebettet in Allgemein-Anatomisches: Schoß und Brüste ja, aber auch Schenkel und Schultern, Bauch und Gesäß, Nabel und Lippe. Nur im Frühwerk, als Höfer noch Städel-Student war, pflegte er den kompletten Akt – siehe eine kleine, dunkel patinierte Bronze in der Vitrine. Schon bald ging es ihm um die Abstrahierung der Ganzheit auf Leibes-Kürzel, um aus diesen allerdings eine neue Ganzheit in der kompositorisch austarierten Transformation zu gewinnen. Das beginnt bei der spontanen, sparsamen Bleistiftskizze und tritt uns am Ende körperlich-dreidimensional entgegen in den Arbeiten in Terrakotta, Bronze und Stein. Es ist mir übrigens bei der Hängung aufgefallen, daß sich unter den Skizzen und Holzschnitt-Miniaturen ein paar finden, die wie ein Echo sind auf Feketes Spiele mit der Sexualsymbolik des bis aufs Kerngehäuse aufgeschnittenen Apfels oder Pfirsichs. „Höfers Arbeiten sind erotisch“, bekräftigt Friedrich Alexander Uehlein, der profundeste Deuter dieses Künstlers. Aber Uehlein wäre der letzte, die Aussage, den Appeal darauf zu begrenzen. Die Trennlinien zwischen dem Allgemein-Anatomischen und dem Allgemein-Organischen sind mitnichten hart gezogen. Speziell von den Skulpturen gilt: in ihrem spannungsvollen Sichöffnen und -schließen, ihrem fließenden Sichwinden und -aufrichten, bisweilen, als lauschten sie oder hielten Ausschau, erinnern Höfers Geschöpfe auch an Schlangen, Schnecken, Muschelgetier oder tropische Nüsse.
Ich wiederhole den Austellungstitel: „Figur und Landschaft“. Was den zweiten Teil unserer Begriffskopplung betrifft, so hat Friedrich Höfer vor zwei Jahrzehnten begonnen, sein Themen- und Formenvokabular zu erweitern. Reisen zu Bildhauersymposien ebenso wie in den Urlaub führten ihm nebenbei den optischen Reiz der Gesteine in ihren Schichtungen und Brüchen sowie in ihren physikalisch-chemisch bedingten Grundformen vor Augen. Der Basalt als vulkanisches Ergußgestein, das beim Erkalten charakteristische kristalline Bündel sechseckiger Säulen bildet, in der Natur etwa des Erzgebirges mal aufrecht, mal schräg gelagert, er spiegelt sich in Federzeichnungen und Schwarzweiß-Holzschnitten. Auf denen lösen eckige, unruhige Formen die weich-geschwungenen ab und der gewohnte Linienfluß stockt und splittert. Zerfetzter noch präsentiert sich, wie Höfer die Granite und Kalksteine übersetzt, welche die Geologie der Bretagne mit ihren ausgewaschenen Felshöhlen und Kaps ausmachen, wo Höfer und seine Familie ein kleines Ferienhäuschen besitzen. Da weiß man vor dem Blatt oft nicht mehr, wo die feste Welt endet und wo der wütend sich auftürmende Ozean beginnt. Wir alle wissen: auch Esteban und Maria Fekete haben stets wilde, einsame Landschaften gesucht. In ihrer argentinischen Zeit auf Ausflügen heraus aus Buenos Aires in die Sierras und Pampas der Region Córdoba. Nachdem sie, ab den mittsechziger Jahren, auf dem Gundernhausener Stetteritz heimisch wurden, folgte das Erkunden von Odenwald, Bergstraße, Rhein-Main-Großregion, was sich nicht nur in zahlreichen Veduten von Marktplätzen und Rathäusern niederschlug. Sondern auch in Blättern, auf denen Felsen, Hügel, Berge, rohes Gestein eine Rolle spielen – selbstverständlich darf hier und heute der 1988er Farbholzschnitt nicht fehlen, der der Odenwälder Hartsteinindustrie gewidmet ist. Ab den achtziger Jahren dominiert dann irische Szenerie, angetroffen auf Fahrten und Wanderungen rund um das Zweitdomizil an der Kenmare Bay, wieder mit Felsenklippen, an denen Schiffe zerschellen, mit Wasserfällen, einsamen Findlingsblöcken aus der Eiszeit, mit Menhirkreisen und Friedhöfen voller Steínkreuze. Auffällig, wie nahtlos, wann immer der Künstler in weitem Panorama Häuser und Berge hintereinander staffelt, beide bis zur Ununterscheidbarkeit ineinander übergehen!
Gezielt haben wir aus der Fülle der Fekete’schen Landschaften diejenigen ausgewählt, die – trotz des Kontrast von hier Farbe, dort Schwarzweiß – eine thematische Affinität zu den Höfer’schen Gesteinsstudien eröffnen. Studien sage ich nicht von ungefähr. Friedrich Höfer ist von beiden der Formsystematiker, vielleicht -analytiker. Exemplarisch mit der wunderbaren Schoßform in Terrakotta, klassisch klar und zugleich mysteriös archaisch, paarig aufgebaut und dennoch nicht starr symmetrisch; stattdessen lebendig mit schuppiger Oberfläche und die Volumina umgrenzt von der allersanftesten Kantenführung. Esteban Fekete bleibt, was immer er anpackt, ein großer Erzähler. Wenn wir es in einen Vergleich aus der Literatur fassen, tendieren seine Werke zum Drama, zum Epos, zur makaberen Elegie oder zum exotischen Märchen; diejenigen Höfers zum knappen Epigramm, im Extremfall – gerade wo an ostasiatische Tuschemalerei gemahnend – zum Haiku. Fekete führt uns durch die ganze Weinprobe; Höfer destilliert seinen Stoff auf die Essenz. Das macht Reichtum und Reiz dieser Doppelschau aus. Zum letzten mal: Figur und Landschaft. Fleisch und Stein. Das Kurvige und das Kantige. Das Organisch-Lebendige und das Mineralisch-, nein, auch nicht Tote. Ein Beispiel, wo die Gegensätze sich in einem Überlappungspunkt treffen, stelle ich an den Schluß. Auf seinen Exkursionen hat Friedrich Höfer auch den Hörselberg gestreift, ein sagenumwobenes thüringisches Kalksteinmassiv mit mehreren Kuppen, Höhlen und Grotten. Um Tannhäuser, einen im 13. Jahrhundert historisch verbürgten Ritter und Minnesänger, umgetrieben von einem abenteuerlichen Wanderleben, das ihn bis ins Heilige Land führte, kristallisierten sich bereits hundert Jahre danach Erzählungen, Erzählungen, die ihn mit dem Hörselberg in Zusammenhang brachten. Und die später von Richard Wagner verknüpft wurden mit dem Sängerstreit auf der Wartburg. Ich zitiere aus der Tannhäuser-Sage: „Eines Tages, es ging schon auf den Abend zu, kam [er] … am Hörselberg vorbei. Da sah er am Fuße des Zauberbergs eine wunderschöne Frau stehen. Sie war leicht gekleidet, und ihre Reize zogen Tannhäuser mit unwiderstehlicher Gewalt an. … Es war Frau Venus, deren Liebeslockungen Tannhäuser folgte. Sie geleitete ihn in den Berg, und er genoß ein Jahr lang ihre heiße, sinnverwirrende Liebe.“