Ich weiß nicht, ob ein Name den Menschen formt oder ob schon die Vorfahren wegen ihrer Eigenschaften ihren Namen erhielten.
Mein Freund hieß Schnecke. Stefan Schnecke. Er war weich, langsam und beharrlich. Obwohl er im Gymnasium zweimal sitzenblieb, machte er doch ein gute Abitur. Bei ihm ging eben alles langsam. Für ihn waren Zusammenhänge wichtig. Wenn ihm ein Zusammenhang klar geworden war, gebrauchte er ihn bei jeder Gelegenheit. Hartnäckig und jahrelang.
Kurz vor dem Abitur überraschte er uns mit der Feststellung, daß man für alles im Leben zahlen müsse. „Was du nicht sagst!“ lachten wir ihn aus. „Das ist aber ernst gemeint“, sagte er, „ich weiß es ganz genau! Ich muß sogar für meine Freuden zahlen. Immer!“ „Welche Freuden kannst du schon haben“, dachten wir bei uns. Er war zwar nicht gerade dick, aber weich, wie eine Schnecke. Kein Mädchen kümmerte sich um ihn
Zwei jahre später begegnete ich ihm wieder. Er war nun Angestellter in einem Anwaltsbüro. Noch immer beschäftigte ihn diese „Zahlungs-Problem“, wie er es nannte. Er verbreitete sich ausführlich darüber, wie er sich an keinem Glück mehr freuen könne, weil er gleichzeitig von der Angst gemartert werde, womit er es diesmal bezahlen müsse. So sei er, gleich nachdem er diese Anstellung im Büro gefunden habe, eine Treppe hinuntergefallen und habe sich den Fuß gebrochen. Oder, als man ihn wegen seiner Weichheit vom Militärdienst befreit habe, sei ihm promt sein Mietvertrag gekündigt worden. Er erzählte mir eine ganze Reihe solcher Geschichten. „Wenn ich doch nur im voraus zahlen könnte“, stöhnte er, „dann könnte ich mich wieder richtig freuen und brauchte nicht dauernd Angst zu haben. Ob man das kann?“ „Wie denn?“ fragte ich. „Ach, ich meine, wenn man etwas Schönes erwartet, kannman sich doch schnell ein Leid zufügen und braucht dann nicht mehr auf die Strafe zu warten.“ Jetzt redete er schon von Strafe statt von Zahlung. „Aber wie willst du denn das richtige Maß finden?“ fragte ich ihn. „Das ist es ja gerade, aber ich bin sogar bereit, viel mehr auf mich zu nehmen, nur, um nicht mehr dieses Warten auf die Strafe ertragen zu müssen.“
Als ich nach einigen Monaten wieder in Schneckes Büro zu tun hatte, fragte ich nach ihm. „Er ist im Krankenhaus“, erzählte man mir. „Warum?“ „Er hat eine Blutvergiftung.“ „Woher?“
Er hatte eine schöne Wohnung bekommen, dafür fastete er zwei Wochen lang. Dann hatte er ein nettes Mädchen kennengelernt und sie eingeladen. Sie hatte zugesagt, aber einen Tag vor der Verabredung hackte er sich mit einem Beil den linken Zeigefinger ab. Er hatte viel Blut verloren und war geschwächt in seinem Zimmer geblieben. Am nächsten Tag, als er das Mädchen treffen wollte, hatte er schon hohes Fieber und lag im Bett. Sie kam und konnte noch gerade rechtzeitig einen Arzt rufen.