„Die Blätter hier gehören in den Papierkorb“, sagte der Kritiker, indem er auf meine Aquarelle zeigte. Ich zog meine Pistole und schoß. Ich traf ihn nicht. Alle stürzten sich auf mich, nur meine Begleiterin wandte sich dem blaß gewordenen Kritiker zu. So endete das Gartenfest im Dezember in Südamerika. Später vor Gericht gab ich als Grund für meine Handlungsweise die verletzte Ehre an. In der Tat war meine Partnerin die Geliebte des Kritikers geworden. Ich erhielt Freispruch. Trotzdem blieb ich verstört, verunsichert. Hatte er recht gehabt mit seinem Urteil? Meine Bekannten achteten, einige sogar fürchteten mich. Dort im Süden war ich ein richtiger Mann, fast ein Held. Aber vor mir selbst war ich ein Versager. Kurz darauf verließ ich das Land und kam nach Europa.
Ich wollte einen neuen Anfang machen. Ich malte weniger und beschäftigte mich dafür mehr mit Druckgraphik. Ich hatte die wunderbare Gabe, künstlerisch gerade das zu tun, was hoffnungslos außer Mode war. Meine Blätter waren nicht altmodisch, sondern gar keiner Mode zuzuordnen oder – wenn überhaupt – dann einer verpönten: Meine Blätter waren ganz einfach schön.
Hier im Norden fanden sich noch ahnungslos Naive, die sich an meiner Kunst ergötzten und sie kauften. So konnte ich leben und weiterarbeiten. Den Kritikern ging ich aus dem Weg. Ich versuchte, jeden Gedanken an sie auszuradieren. In sturen Besessenheit versuchte ich, gelegentliche Be-sprechungen über mich in Provinzzeitungen zu übersehen, auch wenn es lobende waren. Ich heiratete. Meine Frau half mir bei der Arbeit, beim Drucken und Verkaufen.
Eines Tages lud man mich ein, im Kunstverein einer kleinen Stadt an einer Ausstellung mit dem Titel „Selbstbildnisse in der Graphik“ teilzunehmen. Der Pfarrer des Ortes sammelte nämlich meine Blätter. Die Besucher waren gerade so zahlreich, wie zu einer euphorischen Stimmung gehörten. Für diese Leute war Kunst noch ein wenig Religion. „Gehen wir“, sagte da plötzlich meine Frau und packte meinen Arm. „Aber warum den?“ wehrte ich mich. „Dahinten steht meine Jugendliebe!“ – „Na und?“ – „Er ist ein gefürchteter Rezensent!“ Ich sah genauer zu ihm hinüber und erschrak. Der Mann sah aus wie der, den ich in Südamerika hatte erschießen wollen: noch jung, aber schon mit leichter Neigung zum Dickwerden, Doppelkinn, ausgeprägte Nase, großer Kopf, dezent kurzer Haarschnitt mit seitlichen Koteletten, korrekte Kravatte zum sportlichen Anzug.
„Willst du mich nicht vorstellen?“ fragte ich. „Besser nicht“, antwortete meine Frau. „Ich möchte aber!?“ Seufzend gab sie nach. „Eberhard, darf ich dir meinen Mann vorstellen?“ Mich streifte ein flüchtiger Blick, dann sah er nur meine Frau an. Seine Stimme klang ähnlich tief wie die des amerikanischen Kritikers. Ich wollte etwas geistreiches sagen, aber mir viel nicht anderes ein, als idiotisch zu grinsen. Eberhard unterhielt sich ganz ungezwungen mit meiner Frau. Ich fühlte einen Stich. Er schimpfte auf die Ausstellung, der Titel könne ebensogut ein ganz anderer sein. Wie schade, hergekommen zu sein; verlorene Zeit, in der man besser zu Hause ein Buch gelesen hätte.
Langsam stieg in mir eine Wut hoch. „Und meine Blätter hier gehören auch in den Papierkorb?“ fragte ich „Das haben Sie gesagt“, lächelte mich Eberhard ironisch an.
Hätte ich eine Pistole gehabt, hätte ich noch einmal auf den Kritiker gezielt. Aber nur eine Sekunde lang, dann spürte ich die Hand meiner Frau auf meiner Schulter. Die Wut war wie weggeblasen. Ich war erlöst, konnte lächeln und sogar ein flüchtiges Mitleid mit diesem Eberhard empfinden. „Ein schöner Platz für schöne Bilder!“ bemerkte ich. Meine Frau atmete auf und lächelte mir zu. „Immerhin ist die Luft draußen heute abend so schön, daß sich der Spaziergang hierher schon deshalb gelohnt hat!“ – „Vortrefflich!“ sagte ich und lachte, lachte von ganzem Herzen. Ich war fast glücklich.